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Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Titel: Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Taschner
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der unendlich vielen Touristen geben.“
    Dieses zuletzt erzählte Paradoxon geht auf den deutschen Mathematiker Georg Cantor zurück, der es 1873 entdeckt hatte. Er fand darin die wohl eigentümlichste Eigenschaft des Unendlichen: Zuweilen ist Unendliches „abzählbar“. Damit ist gemeint, dass man es wie die Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, … in eine Reihenfolge bringen kann. Zum Beispiel die unendlich vielen Zimmer von Hilberts Hotel, welche die Zahlen sogar als Nummernschilder tragen. Oder die unendlich vielen Touristen in den riesigen Bussen. Oder die unendlich vielen Reisebusse vor dem unendlich großen Parkplatz des Hotels. Bei einer abzählbar-unendlichen Menge wird jedes ihrer Elemente irgendwann in der Aufzählung genannt. Die zuletzt geschilderte Geschichte zeigt jedoch, dass uns Unendliches auch „überabzählbar“ entgegentreten kann. So dass es unmöglich ist, die Elemente der überabzählbar-unendlichen Menge so anzuordnen, dass jedes ihrer Elemente irgendwann erfasst wird. Die überbordend vielen Möglichkeiten der unendlich vielen Touristen, jeweils für sich zu entscheiden, in Hilberts Hotel zu übernachten oder nicht, bilden ein Beispiel für die Elemente einer derart chaotischen überabzählbar-unendlichen Menge.
    Den Unterschied zwischen der abzählbaren und der überabzählbaren Unendlichkeit macht man sich am besten anhand zweier Bilder klar: Die abzählbare Unendlichkeit entspricht der Warteschlange vor einer Bushaltestelle in London. Die Engländerinnen und Engländer sind ja berühmt dafür, sich diszipliniert in Reih und Glied anzustellen. Nur muss man sich vor dieser Haltestelle, wenn man so will: vor „Hilberts Haltestelle“, unendlich viele Personen angestellt denken. Aber auch dann gibt es dort eine erste, eine zweite, eine dritte, und so weiter. Jede von ihnen hat gleichsam eine Zahl als Nummer und sie weiß: Sobald alle Personen mit kleineren Nummern als sie in den Bus eingestiegen sind, kommt sie als Nächste dran.
    Die überabzählbare Unendlichkeit hingegen entspricht dem Andrang des Publikums vor der Garderobe im Wiener Musikvereinssaal, wenn das philharmonische Konzert zu Ende ist: Alle – und bei „Hilberts Garderobe“ sind dies eben unendlich viele – bestürmen mit ihren Garderobezetteln die Garderobiere, ihnen den Mantel auszuhändigen. Es herrscht ein heillos unentwirrbares Tohuwabohu. Die arme Garderobiere ist völlig hilflos. Bei diesem Durcheinander kann es ihr gar nicht gelingen, auch nur irgendeine Ordnung bei der Kleiderrückgabe zu schaffen. Immer wird sich irgendein Konzertbesucher zurückgesetzt fühlen, weil er nie zu seinem Mantel kommt.

Hilberts Programm
    So eigenartig die Szenarien von „Hilberts Hotel“, von „Hilberts Haltestelle“ und von „Hilberts Garderobe“ klingen, so wichtig war es Hilbert, bei diesen Szenarien Klarheit zu schaffen. Denn in ihnen spiegelt sich sein Rechnen mit unendlichen Dezimalzahlen wider. Wir erinnern uns: Die Größe
    π
= 3,141 592 653 589 793 238 462 643 383 279 502 88 …
    gilt es in ihrer Gesamtheit zu beherrschen. Das Dämonische an dieser Darstellung von π sind die drei Punkte … nach den ersten 35 Nachkommastellen. Wie haben wir sie zu verstehen? Die naheliegende Antwort lautet: „ π hat nicht nur 35, π hat vielmehr unendlich viele Nachkommastellen. Die ersten 35 von ihnen sind oben angeführt. Alle restlichen – und dies sind unendlich viele! –sind durch die drei Punkte … symbolisiert.“
    „Dann muss die Frage erlaubt sein“, könnte ein Skeptiker bei dieser Erklärung einhaken, „ob zum Beispiel die Ziffer Null, die ja bei den ersten 35 Nachkommastellen nur ein einziges Mal aufscheint, in der ganzen unendlichen Dezimalentwicklung von π unendlich oft vorkommt oder nicht.“
    „Ganz recht“, würde Hilbert auf diesen Einwurf antworten, „und soweit man π bisher berechnet hat, scheint die Null so oft auf wie jede andere Ziffer auch: Im Großen gesehen kommt im Mittel bei hundert aufeinanderfolgenden Nachkommastellen von π zehnmal die Null vor, bei tausend aufeinanderfolgenden Nachkommastellen hundertmal, bei zehntausend aufeinanderfolgenden Nachkommastellen tausendmal, und so weiter.“
    „Soweit man π bisher berechnet hat, sagen Sie“, wirft der Skeptiker ein. „Beim Rest der noch nicht berechneten Nachkommastellen – und das betrifft ja unendlich viele, also die weitaus meisten – wissen Sie es anscheinend nicht.“
    „Zugegeben. Für alle unendlich vielen Nachkommastellen weiß

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