Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)
es jedoch nicht.
Doch ebenso, wie es das ideale Quadrat, dessen Fläche mit der eines gegebenen Kreises übereinstimmt, „gibt“ –nämlich in unserem Denken –,genauso muss es die exakte Wurzel von π „geben“ –ebenso nur in unserem Denken. Auf ein Computerergebnis dürfen wir hingegen nie und nimmer hoffen.
Und davon war David Hilbert überzeugt: Ebenso wie wir uns auf die Arithmetik der ganzen Zahlen verlassen, dürfen wir annehmen, dass auch das Rechnen mit unendlichen Dezimalzahlen eine sichere Sache ist.
Hilbert teilte diese Überzeugung mit Newton und Leibniz, den Erfindern des „Kalküls“, die wie selbstverständlich mit „unendlichen“ Dezimalzahlen wie mit den ganzen Zahlen rechnen zu können glaubten. Hilbert teilte diese Überzeugung mit der Heerschar aller Mathematiker vor ihm, die den „Kalkül“ von Newton und Leibniz weiter ausbauten und in vielfacher Weise zur Anwendung brachten.
Aber Hilbert wusste, dass Überzeugung allein noch keinen triftigen Grund darstellt. Und es gibt in der Tat eigenartige Phänomene, wenn man mit dem Unendlichen so verfährt, als wäre dies ein harmloser Begriff. Denn es spielt die Logik verrückt, wenn das Unendliche ins Spiel kommt.
Ein Hotel voll Paradoxien
Womit müssen wir „rechnen“, wenn das Unendliche neben dem Endlichen ins Denken gerät? Am besten ermessen wir die Tragweite dieses Begriffs anhand eines Bildes: Ein Hotel, so wie man es überall auf der Welt kennt, hat immer nur endlich viele Zimmer. (Der Einfachheit halber stellen wir uns vor, dass Hotels, über die wir hier sprechen, den Gästen nur Einbettzimmer zur Verfügung stellen.) Bei einem Hotel mit endlich vielen Zimmern kann man diese der Reihe nach, mit 1 beginnend, bis zu irgendeiner Zahl, zum Beispiel bis 313, abzählen. Danach ist Schluss. Das Hotel hat 313 Zimmer und keines mehr. Wenn es 313 Gäste beherbergt, ist es ausgebucht. Kommt jemand zur Rezeption und möchte im ausgebuchten Hotel übernachten – es besteht keine Chance, ihm ein freies Zimmer zur Verfügung zu stellen.
Ganz anders ist dies in „Hilberts Hotel“, das unendlich viele Zimmer haben soll. Auch in ihm kann man diese der Reihe nach, mit 1 beginnend, abzählen, jedoch: Das Zählen der Zimmer von Hilberts Hotel hört nie auf. An jedes Zimmer schließt entlang des unendlich langen Korridors ein weiteres an. Mit dem Trick der Perspektive, den die Künstler der Renaissance so raffiniert zu handhaben verstanden, kann man diesen unendlich langen Korridor mit den unendlich vielen Zimmertüren bildhaft veranschaulichen: Der Gang verliert sich im Fluchtpunkt. Die Bilder der Zimmertüren geraten auf dem Weg zu ihm immer kleiner, bis man sie mit dem freien Auge, später mit der Lupe, schließlich sogar mit dem Mikroskop nicht mehr erkennt. Aber wir wissen: Ihre Reihe nimmt kein Ende. Vielleicht war es die Perspektive, das eindringliche Bild paralleler Schienen einer sich im Nebel verlierenden geradlinigen Bahntrasse, die einander im Fluchtpunkt zu treffen scheinen, das manche Menschen zur Annahme verführte, das Unendliche ließe sich fassen.
Wie dem auch sei. Hilberts Hotel wird nie einen Gast abweisen. Denn selbst wenn alle Zimmer in Hilberts Hotel belegt sind und ein neuer Gast an der Rezeption zu übernachten begehrt: Sein Wunsch kann ihm erfüllt werden. Der Rezeptionist veranlasst, dass jeder bereits gebuchte Gast sein Zimmer mit dem Zimmer der nächstgrößeren Nummer tauscht. Auf diese Weise wechselt der Bewohner von Zimmer 1 auf Zimmer 2, der Bewohner von Zimmer 2 auf Zimmer 3, und so weiter. Jeder Bewohner des Hotels findet leicht sein neues Zimmer: Es hat die um 1 größere Nummer als das alte. Und Zimmer 1 ist dadurch frei geworden; der neue Gast kann es beziehen.
Doch das ist erst der Anfang der Paradoxa in Hilberts Hotel. Nun denken wir uns, es sei ausgebucht, aber ein Bus mit unendlich vielen neuen Gästen hält vor ihm. Alle unendlich vielen Personen, die sich in Reih und Glied vor dem Empfangschef anstellen, begehren Einlass. Wie soll das gelingen, wenn schon alle Zimmer belegt sind? Der Mann an der Rezeption findet eine Lösung: Jeder bereits gebuchte Gast wechselt in das Zimmer mit der doppelt so großen Nummer: Also wandert der Bewohner von Zimmer 1 in das Zimmer 2, der Bewohner von Zimmer 2 in das Zimmer 4, der Bewohner von Zimmer 3 in das Zimmer 6, und so weiter. Jeder Bewohner des Hotels findet leicht sein neues Zimmer: Es hat die doppelte Nummer vom alten. Die ursprünglichen Gäste
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