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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Grandmaman. Sie sieht genauso aus, wie man erzählt. Ihr Mantel ist ganz zerlumpt und geflickt. Er ist zu groß für sie, weshalb sie die Ärmel aufgerollt hat.
    â€ºBete für die Kaiserin‹, bat ich sie. ›Bete für sie, dass sie wieder gesund wird.‹
    Da nickte die Segensreiche Xenia, Grandmaman. Sie sagte nichts, aber sie nickte.
    â€ºGib mir ein Zeichen‹, bat ich sie. ›Damit ich weiß, dass alles gut wird.‹
    Sie gab mir ein Zeichen, Grandmaman!
    Am Morgen ging ich dann in den Garten, und da war Bolik. Gleich am Tor. Als er mich sah, lief er auf mich zu. ›Bolik‹, rief ich. ›Bist du das?‹ Er zitterte am ganzen Leib und wedelte mit dem Schwanz. Ich hob ihn hoch, und er leckte mein Gesicht.
    Er ist so dünn, Grandmaman. Ich kann seine Rippen fühlen. Sein Fell ist ganz stumpf und voller Dreck und Blut. Am Kopf hat er eine offene Wunde. Ein tiefes Loch voller wimmelnder Würmer.
    Aber er ist wieder da.
    Er lebt.
    Ich wollte ihn hierher bringen. Ich wollte, dass du ihn siehst, Grandmaman. Aber Maman ließ mich nicht. Sie sagte, das sei nicht recht, du wärst zu krank. Aber ich weiß, du wolltest, dass er wiederkommt.«
    Â 
    11.45 Uhr
    Es riecht nach gebratenen Würstchen, Sauerkraut und Bier. Die Dienstboten tragen Platten mit Essen an ihr vorbei und werfen dabei rasche Blicke in ihre Richtung. Sie kann sie durch halb geschlossene Lider sehen. Bedrückte, verweinte Gesichter. Stolpernde Füße.
    Im kleinen Zimmer hält ihr Sohn Hof.
    Â»Gottes Wille ist unergründlich«, verkündet Maria Fjodorowna mit irritierender Feierlichkeit gerade einem neuen Besucher.
    Â»Du hast überhaupt nichts gegessen, Alexander? Du brauchst jetzt deine Kraft!«
    Â»Das tun wir alle!«
    Â»Bleib sitzen, Konstantin. Du machst mich nervös, wenn du so herumhampelst.«
    Sie bemühen sich nicht, leise zu sprechen. Ist es ihnen egal, wenn sie sie hören kann? Vielleicht – und der Gedanke ist nicht abwegig – ist ihnen ihr stummes Zuhören ein heimliches Vergnügen. Beim Liebesspiel steigert der Neid der Ausgeschlossenen das süße Gefühl der Erfüllung.
    Manchmal hört sie Besborodkos Stimme, die irgendetwas erklärt, aber sie kann sich auch täuschen.
    Jemand sollte sie alle im Auge behalten.
    Â 
    12.00 Uhr
    Eine Glocke läutet. Fensterläden klappern. November ist ein windiger Monat.
    Hinter dem Wandschirm bewegen sich graue Schemen, nervös und angespannt, ein Puppenspiel der Schatten. Als jemand ruft: »Du hast hier nichts zu suchen!«, werden die Schemen hektischer. Rücken krümmen sich, Hände werden in die Luft geworfen. Etwas fällt mit einem Knall auf den Boden, Glas zerspringt.
    Â»Passt denn niemand an den Türen auf?«
    Â»Wozu sind die Wachen eigentlich da?«
    Ein Putsch?
    Der Wandschirm bewegt sich, droht umzufallen, jemand fängt ihn auf. Ein geschmeidiger Körper landet mit einem Winseln anmutig auf ihrem Bett.
    Pani, die treue Pani, hat ihre Aufpasser überlistet. Und hier ist sie nun und leckt ihrer Herrin das Gesicht mit ihrer warmen, feuchten Zunge. Wangen, Lippen, Augenlider. Hunde brauchen keine Worte zur Erklärung. Pani weiß Bescheid, spürt es durch ihre Haut. Ihre Herrin ist nicht dort, wo sie sein sollte. Ihre Herrin leidet. Wenn man eine Wunde leckt, hilft das bei der Heilung.
    Â»Raus! Runter vom Bett, Pani!«
    Anjetschka ist hartnäckig, aber Pani – vom Bett geschubst – springt von der anderen Seite wieder hinauf und setzt ihre selbst auferlegte Pflicht fort. Ihre Nase ist kalt und feucht.
    Â»Raus, du Miststück.«
    Die Hündin jault und winselt, als sie erneut fortgescheucht wird. Jemand wird angewiesen, Pani festzuhalten. Das verdammte Miststück wegzubringen.
    Ich muss sie daran hindern, Pani wehzutun, denkt sie, aber die Hand, die sie heben will, ist verschwunden. Mit der Guillotine gekappt, denkt sie und sieht das Wort vor sich: scharf und lebendig und leuchtend rot.
    Â 
    12.13 Uhr
    Â»Bis jetzt kein einziges Wort. Aber Majestät kann uns sehen, das merke ich.«
    Â»Wie lang geht das schon so?«
    Â»Ruhe! Sie machen zu viel Lärm.«
    Â»Der Koch lässt fragen, ob er noch mehr geräucherten balyk schicken soll.«
    Â»Die Suppe ist zu salzig. Wurde etwa in den Topf geweint?«
    Â»Majestät atmet noch.«
    Â»Wer wohl den Silberfuchs-Umhang bekommt? Er ist so

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