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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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zugezogen, und es dringt kein Licht von außen ins Zimmer. Das ist ihr nur recht. Die Sonne wandert erbarmungslos weiter, und sie möchte an derlei Bewegungen nicht denken. Sie zieht es vor, an die bemalte Decke ihres Zimmers zu blicken. Zu den Nymphen, den Göttern, den Wolken, die sich nicht rühren, nicht verändern, nichts verlangen außer Bewunderung für ihre Leichtigkeit, ihre Farben und ihre Leidenschaften, die nie vergehen.
    Ich gehöre der Nacht, denkt sie.
    In ihr wächst die Stille. Süß, warm, trügerisch.
    Â 
    20:45 Uhr
    Â 
    Und wieder beten wir für die Seele Deiner Dienerin … auf dass ihr all ihre Sünden vergeben werden mögen, die wissentlichen und die unwissentlichen.
    Â 
    In den traurigen Augen ihrer Enkelin steht der Tod. Zögern steht in Alexanders. Die Qualen der Sünden, wirklicher und eingebildeter.
    Die Welt, die sie verlässt, ist weich und wird von der Nacht verschlungen werden. Sie stellt sich den tobenden Pöbel vor, der sie allesamt holen wird. Der seine Fackeln schwenkt. Kein Licht, das erleuchtet, sondern eines, das zerstört und verbrennt.
    Sie scheren sich nicht um ihre Warnungen.
    Denn mag der Verlust auch noch so tief, der Verrat noch so erschütternd, das gestohlene Objekt noch so kostbar sein, das Leben wendet sich von den Toten ab.
    Da sind sie alle, bereit, sich dem immer gleichen Tun ihres immer gleichen Alltags zuzuwenden. Bis zu ihrem Ende. Bis Leere und Dunkelheit auch sie einholen werden.
    Â 
    21.40 Uhr
    Draußen hat sich der Regen in Schnee gewandelt, klatscht gegen die Fensterscheiben und rutscht wie Spucke am Glas herunter.
    Sie hört schlurfende Schritte. Ist das Anjetschka?
    Anjetschka, von der sie geliebt wird. Anjetschkas Liebe ist dunkel und klebrig und erstickend. Aber sie bekommt von ihr auch, was es sonst nirgendwo für sie gibt, absolut treue Ergebenheit.
    In ihren Händen hält Anjetschka ein Samtkissen, grün mit goldenem Besatz. Die Ecken sind bis auf die graue Füllung weggekaut. Die Hunde haben sich wieder einmal darüber hergemacht.
    In Pauls Augen sieht sie den Wahnsinn, der ihm den Tod bringen wird.
    Es wird andere Tode geben. Eine Vielzahl von Toden. Grausame, heimtückische. Die Mauern ihres Palasts werden ihrer Pracht beraubt werden, Flammen werden an Gold und Silber lecken, Juwelen werden schmelzen.
    Â 
    Ich habe mich bemüht.
    Auch das erhellende Licht kann täuschen.
    Â 
    Alexandrine, das süße, schöne Kind, kniet an ihrem Bett. Ihr goldenes Haar ist viel zu straff gebunden, die Perlen sehen stumpf aus, als hätte jemand zu stark an ihnen gerieben. Sie hat die Hände zum Gebet gefaltet. Ihr Gesicht ist weiß, genau wie das der kleinen Olga in ihrem Sarg.
    Der Geruch, der sie umgibt, stammt nicht von Jasminblüten. Es ist der schwere, süße Duft von ladan .
    Â 
    Ich habe mich bemüht, den Tod von dir fernzuhalten, doch ich bin gescheitert.
    Â 
    Der Hund kommt mit ihrem Schuh, legt ihn vor ihre Füße, blickt sie mit traurigem Vorwurf an. Ist das Pani? Nein, es ist Herzogin Anderson, ihre Windhündin. Aber wie kann das sein? Herzogin Anderson ist doch tot und begraben.
    Mit einem Seufzer fällt die Hündin auf die Seite und schließt die Augen.
    Wie kann das sein, Anjetschka?
    Aber die Frau, die neben ihr steht, ist nicht Anjetschka.
    Â 
    Sieh auf mich herab, oh Muttergottes, und nimm dich jetzt gnädig der Heimsuchung an, die mir widerfahren ist, auf dass ich, dein Antlitz erblickend, mit Freuden meinen Körper verlassen kann.
    Â 
    Ohne Dunkelheit wird nichts geboren, und ohne Licht kann nichts erblühen. Juwelen sind wichtig. Smaragde sind empfindlich, man darf sie nicht fallen lassen. Gold wurde immer wieder eingeschmolzen. Dieser Goldring an ihrem Finger könnte von der goldenen Kette des Pharao stammen.
    Hermes, der Götterbote, schrieb auf einer Smaragdtafel. Als Satan aus dem Himmel stürzte, fiel ihm ein Smaragd aus der Krone.
    Nero betrachtete die Gladiatorenkämpfe durch eine Smaragdlinse.
    Nimm meinen Ring, Alexandrine.
    Nimm ihn jetzt.
    Â 
    Â»Komm mit mir.«
    Grischenkas Stimme ist sanft und tröstlich.
    Sie streckt ihre Hand aus, um ihn zu liebkosen. Um langsam seinen Rücken, seinen Bauch, seine Schenkel zu berühren. Die Hautfalten, den straffen Körper zu streicheln, der neben ihr liegt. Ihr eigener Körper erstreckt sich in alle Richtungen, ein weites fruchtbares Land mit

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