Sakramentisch (German Edition)
EINS
Ihnen gleich zu Beginn offenlegen zu müssen, liebe
Leserinnen und Leser, dass dieses Buch kein ausgesprochen fröhliches ist, fällt
mir schwer. Ich persönlich lese vorzugsweise nur Bücher und gehe nur in Filme,
die mich erheitern. Die mich in gute Stimmung versetzen. Mich aus einem Tief
holen. Man hat eh schon genug Unfröhliches im Leben zu erleben. Oder?
Deshalb muss ich Sie fairerweise warnen. Legen Sie das Buch gleich
wieder aus der Hand, wenn Sie denselben Antrieb haben, sich über ein Buch
herzumachen, wie ich. Ich will ja nicht übertreiben. Doch ich habe hier einen
Roman mit verlotterten, grässlich unmoralischen Figuren geschrieben. Mir
gefällt er. Das ist mein Job. Doch Sie so richtig aus der Krise holen oder
Ihren Lebensmut stärken wird er nicht. Schon allein der Titel! Sakramentisch!
Kein sonniger Titel, nicht? Gehen Sie also bitte in die Buchhandlung oder in
die Bücherei, geben das Buch zurück und holen sich ein anderes. Ehrlich, tun
Sie es! Vierzehn Tage, glaube ich, ist die Umtauschfrist.
Freilich, auch dieses Buch gilt marketingtechnisch als
Regionalkrimi. Deshalb haben Sie wohl auch zugegriffen. Das hat den
vergnüglichen Vorteil, dass Sie sich in Ihrer Umgebung wiederfinden, Sie können
sich damit identifizieren. Mit den Dörfern, den Sträßchen, den Buslinien, den
Kirchtürmen, der typischen Bevölkerung und dem typischen Wetter. Lokalkolorit
macht Spaß, höre ich immer wieder. Für mich und meine Recherchen heißt dies,
dass sich die Verdächtigen im Umkreis aufhalten, die Zahl der Dienstreisen ist
überschaubar, und Sie schonen deshalb mit dem Erwerb dieses Buches meinen
Geldbeutel. Trotzdem. Sollten Sie aus dieser Motivation heraus das Buch aus dem
Regal genommen haben, dann empfehle ich Ihnen, es wieder zurückzustellen oder -zulegen
und eines der hundert Millionen anderen mit nach Hause zu nehmen, die es im
deutschsprachigen Raum gibt. Eines über die Allgäu-Kluftingers, eines der
Alpen-Förgs, der Berndorfs, wenn Sie aus der Eifel stammen. Eins der drei oder
vier komischen mit dem Kommissar Jennerwein oder womöglich die neue Masche,
Schneewittchen oder Winterkartoffelknödel. Vielleicht ziehen Sie auch den
stillen, traurigen Kommissar Süden meines syndikatischen Freundes Friedrich Ani
vor.
Doch selbst die Geschichten um den ewig bekümmerten Süden von der
Vermisstenstelle München sind aufmunternder und erfrischender als dieses Buch.
Woran das liegen mag? Nun, ich habe den Text geschrieben. Ich muss es wissen.
Es liegt sicher daran, dass sich im Leben des Hauptdarstellers wenig
Erfreuliches zugetragen hat. Bisher schon nicht und zukünftig schon gar nicht.
Sie werden’s gleich erfahren, wenn Sie das Buch denn lesen wollen. Während der
Dauer des Romans passieren schlimme Dinge, die Sie Ihren Kindern nicht erzählen
sollten. Stellen Sie sich vor, Ihre elfjährige Tochter bekäme dieses Buch in
die Hand!
Es beginnt schon damit, dass Artur Josef, unser Hauptdarsteller,
voller Schreck aus seinem Garten stürzt. Er hatte einen mordsmäßigen Krach
gehört und gleich aus dem Fenster geschaut. Einen krachartigen Aufschlag mit
anschließendem Kreischen, als ob sich eine Kreissäge durch einen Sarg aus
konserviertem Zirbelholz arbeitet.
Dann war alles still.
Artur kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Nicht weiter
bemerkenswert, denn zwischen dem Fettwulst der Augenbrauen und den wie
aufgeblasen wirkenden Wangen waren die Augen eh schon sehr eingeengt. Dann
strich er sich nachdenklich mit dem rechten Handrücken über den Schnauzbart.
Eile empfand er zunächst nicht.
Der Anblick, der sich ihm auf der gegenüberliegenden Seite der
Straße bot, war recht unerfreulich. Vor wenigen Minuten noch war die kleine
Rasenfläche vor dem halbrunden Musikpavillon mit halbmeterhohem Schnee bedeckt
gewesen und funkelte – ganz untypisch für einen sonst eher grauslichen
Novembertag – in der Nachmittagssonne wie ein außerirdisches Kleinod. Jetzt
aber war der jungfräuliche Schnee aufgewühlt, als hätte jemand mit der
Mistgabel darin herumgefuhrwerkt. Das lag an dem protzigen, glänzenden anthrazitfarbenen
Geländewagen, der mit der Schnauze voran im Dreck steckte. So weit hatte er
sich durchgewühlt. Mit den Vorderrädern durch achtzig Zentimeter Schnee
hindurch in sechzig Zentimeter Gefrorenes hinein.
Das gewienerte Anthrazit strahlte mit dem verbliebenen Restschnee um
die Wette und funkelte in der Sonne. Die geöffneten Fahrer- und Beifahrertüren
waren wie Flügel weggestreckt,
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