Die Zarin der Nacht
Wahrheit über die GroÃmannsallüren.
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Ich habe keine Kraft, Matuschka, ich bin sehr, sehr krank. Ich bin ausgelaugt, wie der Herrgott bezeugen kann.
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Sie ist in Zarskoje Selo, als sie diese Worte liest. Zusammen mit Le Noiraud, der hingebungsvoll ein neues Fernglas an den Menschen unten im Garten ausprobiert. Und ganz begeistert ist, als er entdeckt, wie Alexandrine fröhlich herumspringt, während Miss Williams, ihre Gouvernante, ein Gähnen unterdrückt.
»Deine Enkelin ist schon eine kleine Schönheit, Katinka. Sieh nur, wie sie ihre Röcke fliegen lässt!«
Katharina faltet den Brief zusammen und wieder auseinander, als könnten Potjomkins besorgniserregende Worte dadurch einfach verschwinden. Es ist September. Ihre Gärtner sind emsig dabei, Büsche zu pflanzen und neue Beete anzulegen. Die jüngste Liste mit Samen enthält neue Sorten von Astern, Phlox, Malven und Chrysanthemen.
Sie setzt sich sofort an ihren Sekretär und schreibt einen Brief mit der dringenden Bitte um Vorsicht: Nimm deine Medizin, Grischenka. Ruh dich aus. Hör auf, so viel zu essen. Schreib mir, wie es dir geht. Sag deinen Ãrzten, sie sollen mir einen Bericht schicken.
Ein wenig beruhigt sie sich beim Schreiben. An seiner Stelle würde sie alle Frauen fortschicken, die Fensterläden schlieÃen und auf sehr viel Schlaf bestehen. Aber Grischenkas Sultaninnen sind ein eitler, selbstsüchtiger Haufen und denken nur an ihr eigenes Vergnügen.
Es ist nicht Eifersucht, was sie zu diesen Ãberlegungen führt. Es ist Instinkt. Das Talent, stets zu wissen, was andere in Wirklichkeit wollen; sich nicht durch äuÃeren Schein täuschen zu lassen; drohende Gefahren schon frühzeitig zu erkennen.
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Der nächste Brief enthält Berichte über die Verhandlungen. Sie verlaufen erfolgreich, Einzelheiten kann Grischenka ihr allerdings nicht nennen. Er misstraut den Verschlüsselungen oder den Boten. Die türkischen Spione sind überall. Sie wird seinem Urteil trauen, ihm die Entscheidungen überlassen müssen. Er ist ihr treuester und dankbarster Untertan.
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Mir geht es besser, schreibt er auÃerdem. Die Gefahr ist vorüber, aber ich bin immer noch sehr schwach.
Einen neuerlichen Anfall werde ich nicht überstehen.
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Es geht ihm besser, denkt sie erleichtert. Es wird keinen neuen Anfall geben.
»Der Fürst arbeitet zu hart«, erklärt sie Le Noiraud, der, wie sie mit Genugtuung feststellt, ebenfalls an Grischenka geschrieben hat. Vielleicht nicht gerade elegant oder einfühlsam, aber klar und deutlich. Wir alle warten auf die Nachricht von der raschen Gesundung Ihrer Hoheit.
Für einen Moment umspielt ein Lächeln Le Noirauds Lippen, doch es erstirbt so rasch, wie es entstanden ist. Und Sorge umwölkt die Stirn ihres Liebhabers. Nicht nur die Sorge um den Fürsten, erklärt er, sondern auch um sie. Hat sie nicht gekränkelt in letzter Zeit? Der wunde Hals, der Husten, die wieder aufgetretenen Koliken, die geschwollenen FüÃe? Auch sie arbeite zu hart, denke nicht an ihr eigenes Wohlbefinden. Nicht daran, dass er jede Nacht auf sie wartet.
Sein Blick ist voller Liebe, verrät aber auch ein leichtes Unbehagen. Sie haben seit Wochen nicht mehr miteinander geschlafen. Nicht weil er sie nicht begehrt hätte. Oder weil sie die Gemächer, die Katharina für solche Momente eingerichtet hat, nicht aufgesucht hätten. Sondern weil die Bilder von lüsternen Nymphen, die mit Satyrn herumtollen, oder die Weinkorken in Form von nackten Hintern nur noch ein müdes Kitzeln hervorrufen, wo einst ein Feuer brannte.
»Ja«, sagt sie, vielleicht zu schnell. »Ich vergesse, an mich zu denken. Es ist lieb von dir, dass du dich sorgst.«
Le Noiraud winkt ab. Er möchte kein Lob. Es sei nur seine Sorge um ihr Wohlbefinden, die ihn umtreibe.
Ein Kind, denkt sie. Ein Kind, das ungeschickt sein mag und manchmal auch egoistisch, aber dem ich wichtig bin.
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Die Berichte aus dem Süden werden kürzer. Einer enthält eine Liste der Beschwerden: Fieber, Kopfschmerzen, Krämpfe, die einfach nicht aufhören wollen. Doch ein weiterer Bericht beruhigt sie: Schwitzen habe Erleichterung gebracht. Und in dem Brief danach äuÃert Grischenka die Befürchtung, dass die Schiffe sich verspäten und der Fluss dann vielleicht schon zugefro
ren sein könnte. Das ist doch ein Anzeichen dafür, dass er
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