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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Statue auf einer diamantenbesetzten Pyramide. Darunter eine Tafel: Für die Mutter des Vaterlands und meine Wohltäterin.
    Was für ein zauberhafter Abend war das gewesen! Wunderhübsche Kinder, schmuckbehängt und in blauen und rosafarbenen Gewändern, die eine Quadrille tanzten. Monsieur Alexander, der mit Alexandrine ein Menuett tanzte. Beide so anmutig, so leicht! Und dann, als die Dunkelheit hereinbrach, führte Grischenka sie alle in den Gobelinsaal, wo die Tapisserien die Geschichte von Esther erzählten und wo ein lebensgroßer, mit Smaragden und Rubinen geschmückter goldener Elefant stand. Als sie Platz genommen hatte, hoben sich wie durch Zauber die Tapisserien, da ihr Prinz den Gobelinsaal in ein Theater verwandelt hatte. Es wurden zwei Komödien und ein Ballett gegeben und danach eine unglaublich prachtvolle Parade aller Völker des Reichs. »Sieh mal, Grandmaman«, schrie Alexan
der ganz aufgeregt. »Die gefangenen osmanischen Paschas von Ismael!«
    Ein glanzvolles Fest, hatte sie gedacht. So leben wir in Sankt Petersburg. Inmitten von Sorgen und Krieg und den Drohungen von Despoten. Sieh dir das an, Europa!
    Â»Sag noch nichts, Katinka«, flüsterte ihr Prinz ihr ins Ohr, als sie ihn loben wollte. Er führte sie zurück in den Wintergarten zu der Statue, die sie als Göttin darstellte, und fiel dort auf die Knie. Und dann gab er ein Zeichen, und aus dem Gebüsch erklang eine Männerstimme, die Grom pobedy, rasdawaisja! zu rezitieren begann.
    Â 
    Lasst den Ruf des Siegs ertönen!
    Freu dich, tapferer Russe!
    Bewundere dich in deinem Ruhm!
    Du hast den Muselmann geschlagen.
    Â 
    Ruhm sei dir, Katharina,
    Ruhm dir, unserer fürsorglichen Mutter!
    Â 
    Erst als sie Grischenka die Tränen wegwischte, als sie ihn umarmte und ihm versicherte, solange sie lebe, werde niemand einen Abend wie diesen inszenieren können, begann das Orchester zu spielen.
    Der Ball begann. Sie tanzte nicht.
    Sie war zu müde, und ihre Beine taten damals schon weh. Aber sie spielte eine Weile Karten mit Maria Fjodorowna und sah zu, wie die Kinder erneut für sie tanzten, saß an ihrem Tisch, golden gedeckt und von einer weißblauen Glaskugel beleuchtet, und Grischenka stand hinter ihrem Stuhl und bediente sie, bis sie ihn nötigte, neben ihr Platz zu nehmen.
    Die beiden mussten nichts sagen, um zu wissen, was sie dachten. In den verschlüsselten Berichten nach Berlin und London würde lauter Verächtliches über die russische Extravaganz und
den unerträglichen Stolz stehen. Welch eine aufdringliche Vorführung asiatischen Geschmacks! Welch eine Verschwendung und Arroganz! Welch hemmungslose Lüsternheit! Aber die Monarchen Europas lassen sich nicht zum Narren halten. Sie wissen: Ein vereintes, diszipliniertes, furchtloses Russland ist eine Macht, mit der zu rechnen sein wird.
    Um zwei Uhr früh, als sie sagte, sie könne ihre Augen nicht länger aufhalten und sei zu müde, um noch irgendetwas zu sehen, ließ er sie endlich gehen. Doch nicht, ehe ihr siegreicher Prinz, der Eroberer der Krim, dem Orchester ein weiteres Zeichen gegeben hatte, worauf es die schwermütige Weise anstimmte, die er für sie komponiert hatte: Das Einzige, was in der Welt zählt, bist du.
    Â 
    Leb wohl, mein Freund, ich küsse dich, lautete die Nachricht, die sie Grischenka hinterherschickte, als er in den Süden aufbrach. Sotow war es, der ihr erzählte, dass Grischenka an jenem Morgen nach dem Fest, nachdem auch der letzte Gast aufgebrochen war, keine Ruhe fand. Dass er zwischen den Überresten des Balls umherirrte, von stehen gelassenen Tellern aß, die die Dienstboten noch nicht abgetragen hatten, seine Finger in den Wein tauchte und sie ableckte. Und dann, als die Sonne hoch am Himmel stand, schrieb er den Brief, den sie schon so viele Male gelesen hat:
    Â 
    Alexander, der Erstgeborene unter den Adlerjungen, ist schon flügge. Sobald er seine Flügel ausgebreitet hat, wird er sich in die Luft schwingen, und Russland wird sich ihm als eine gewaltige Landkarte präsentieren … erweiterte Grenzen, Armeen, Flotten und Städte, die sich vermehrt haben … eine bewohnte Steppe … das wird der herrliche Anblick sein, der sich ihm bietet, und wir werden das Vergnügen haben, in ihm einen Prinzen mit den Eigenschaften eines Engels zu sehen, Sanftmut, ein erfreuliches Aussehen,
eine herrscherliche Haltung. Jeder wird ihn

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