Die Zarin (German Edition)
zweiten Pelz! Wie gut, daß du wenigstens nicht schreiben kannst!«
Dann hatte er gelacht, seinen Kopf in den Nacken geworfen und hatte nach mehr Branntwein verlangt.
Jewdokija, die unglückliche Frau, die ihm als junges Mädchen angetraut worden war! Ich hatte sie nur einmal gesehen. Seit fast dreißig Jahren war sie nun in ein Kloster verbannt. Der Irrsinn leuchtete aus ihren Augen. Sie war kahlgeschoren, und ihr Schädel war von der Kälte und dem Dreck mit Beulen und Pusteln übersät. Ihre einzige Gesellschaft war die einer buckeligen Zwergin. Peter hatte dem unglücklichen Wesen, das seiner Frau in ihrer Zelle diente, die Zunge abschneiden lassen, so daß sie auf Jewdokijas endlose Klagen nur mit einem Lallen antworten konnte.
Sie nur dieses eine Mal zu sehen, so hatte Peter wohl angenommen, sollte mich mit genug Schrecken für den Rest meines Lebens erfüllen.
Ich glitt von meinem Stuhl an Peters Bett und sank neben seinem Lager auf die Knie.
Die drei Ärzte wichen augenblicklich in den Halbschatten des Raumes zurück. Ganz wie vom Feld aufgescheuchte Krähen. Die Vögel, die Peter in den letzten Jahren seines Lebens am meisten gefürchtet hatte.
Seine Hand war weich und kühl, als ich sie in die meine nahm. Ich drückte sie kurz und führte sie dann an meine Lippen. Seine Haut roch vertraut: nach Tabak, Tinte, Leder und schwach auch nach der Parfumtinktur, die er sich eigens in Grasse anfertigen ließ. Es war noch nicht die Hand eines Toten. Die Finger ließen sich nun leicht von dem Papier lösen. Es lag offen auf dem Laken, das seinen leblosen Körper bedeckte.
Ruhig und bestimmt griff ich danach. Es war wichtig, jetzt allen zu zeigen, daß nur mir allein diese Geste zustand, was immer auch darauf geschrieben stand. Mir, seiner Frau und der Mutter seiner Kinder. Zwölfmal war ich niedergekommen.
Das Papier raschelte in meinen Fingern. Peter hatte mit letzter Kraft einige Worte niedergeschrieben: eine Angelegenheit, die er mit einem letzten Aufwallen seines ungeheuren Willens noch geregelt wissen wollte.
Ich schämte mich nicht zum ersten Mal, nicht lesen zu können.
Ich erhob mich und reichte den letzten Willen meines Mannes an Feofan Prokopowitsch. Wenigstens war Menschikow genauso unwissend wie ich! Seit dem Augenblick, in dem Peter uns in seinen Bannkreis gezwungen hatte, waren wir wie zwei Kinder, die sich um die Liebe und die Aufmerksamkeit des Vaters stritten. Batjuschka Zar, wie sein Volk ihn nannte – unser Väterchen Zar.
Prokopowitsch dagegen spielte seine Rolle auf einer ganz anderen Bühne als wir. Ich hatte ihn stets gefürchtet: ihn, dem himmlische und weltliche Reiche vertraut waren, sein Wissen und seinen scharfen Witz. Was bitte kann ein einzelner Mann mit dreitausend Büchern anfangen? Denn so viele Bücher – so schwor es mir zumindest meine Vertraute Darja – hatte er in seiner Bibliothek! Hatte er sie alle gelesen? Wie fand er noch Zeit zu all den anderen Dingen?
Er neigte leicht den Kopf, als er die letzte Nachricht Peters entgegennahm. Es wirkte ehrerbietig, obwohl er wissen mußte, welches Schicksal Peter noch in seinen letzten Wochen für mich vorgesehen hatte.
Er ahnte wohl bereits, was der Zar noch so dringlich hatte sagen wollen! Hatte er selber denn Peter vor zwei Jahren nicht geholfen, seine unerhörte Entscheidung niederzuschreiben? Feofan Prokopowitsch faßte damals für Peter das Recht in Worte, die Nachfolge über jede Sitte, jedes Gesetz hinweg selbst zu bestimmen. Beide hatten dabei so tief an die Macht göttlichen Willens und die Bestimmung, die ein Volk an seinen Herrscher bindet, geglaubt! Hatte Peter nicht stets gesagt, er wolle sein Reich eher einem würdigen Fremden hinterlassen als einem leiblichen, aber unwürdigen Kind – wie Alexej, sein Sohn und Thronerbe, es ihm gewesen war?
Alexej und seine Augen, mit ihrem schwimmenden, von dichten Wimpern verhangenen Blick. Die Augen seiner Mutter Jewdokija, unter ihrer hohen, gewölbten Stirn. Wie scheu und unsicher er mich bei unserer ersten Begegnung ansah. Er konnte damals nicht gerade sitzen, da Menschikow ihn so grausam mit einer Rute gestäubt hatte, daß sein Rücken und Hinterteil blutig und entzündet waren. Erst, als es schon viel zu spät war, begriff Alexej: Der nahe Tod verwandelt einen Menschen. Er kann dem Schwachen Würde und Ruhe geben, die er in seinem Leben nicht besessen hatte. Starke Männer dagegen werden in seinem Angesicht zu einem Bündel Tränen.
In seiner Zelle muß Alexejs
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