Die Zarin (German Edition)
Zeit in den Klöstern von Hand geschrieben und dann wieder abgeschrieben.
Der Kaminsims selbst war leer, abgesehen von einem naturgetreuen Modell der »Natalja«, Peters stolzer Fregatte. Darüber hing ein Gemälde, das unseren Sohn Peter Petrowitsch zeigte. Es wurde nur Monate vor seinem plötzlichen Tod gemalt. Dieser Tod, der seinem Vater und mir das Herz zerriß. Zuviel Schmerz, zuviel grausam unterbrochene Hoffnung. Ich war wie von Sinnen damals. Alles schien in jenem Augenblick umsonst gewesen zu sein.
Ich hatte den Raum lange Zeit nicht mehr betreten, denn sein Abbild wirkte zu echt. Ganz so, als wollte mein Sohn mir den kleinen Lederball, den er in seinen Händen hielt, zuwerfen. Seine blonden Locken fielen auf ein weißes Hemd aus Spitzen, und seine lächelnden Lippen ließen eine Reihe kleiner Perlzähne erahnen.
Ich wollte mein Leben geben, um ihn jetzt hier zu haben, ihn jetzt und hier zum Zaren von Rußland auszurufen. Ein Knabe noch, sicherlich. Aber ein Sohn von meinem und deinem Blut, Peter. Eine Dynastie. Ist es nicht das, was jeder Herrscher will und was auch wir wollten? Nun sind nur Töchter übrig – und ein gefürchteter, ungeliebter Enkel.
Der Gedanke an den jungen Prinzen kam mit einer Macht zurück, die mir den Atem nahm. Peter Alexejewitsch, den Peter als Säugling nach der Geburt in die Arme nahm und sich von seiner unglücklichen Mutter abwandte. Arme Charlotte. Sie wirkte stets wie ein edles, scheues Pferd – und genau wie ein Pferd hatte ihr Vater sie aus dem heiteren Braunschweig an den russischen Hof verkauft. Er hatte sie Alexej zum Fraß vorgeworfen, als Spielzeug seiner schwierigen Launen, das schon bald unter seinen Händen zerbrach. Zu Be ginn ihres Aufenthaltes in Sankt Petersburg hatte Charlotte vom vielen Weinen stets verquollene Augen. Ich erklärte mir dies durch ihr Heimweh. Schon bald jedoch konnte man ihr Antlitz unter den vielen grünen und blauen Schwellungen kaum mehr erkennen. Alexej prügelte und trat der zarten deutschen Prinzessin die Seele aus dem Leib. Als sie entdeckte, daß sie nach der Geburt einer Tochter wieder in gesegneten Umständen war, weinte sie mir den Rock naß vor Furcht. Das Grauen vor ihrem Leben nahm ihr die Luft zum Atmen. Wo war ihr kleiner Sohn nun? Im Palast der Fürsten Dolgoruki? In den Kasernen? Draußen, vor der Tür? Er war erst zwölf Jahre alt, doch ich fürchtete ihn nun mehr als den Teufel. Ihn, dem Peter nicht einmal den Titel eines Zarewitsch zugestanden hatte! Kamen die Dolgorukis mit dem jungen Peter an die Macht, so konnte dies die letzte Nacht meines Lebens sein.
Menschikow öffnete die Tür zum Totenzimmer noch einmal und orderte durch Blumentrost eine Karaffe schweren Wein, nein, wenn er sich recht besann, zwei Karaffen, sagte er gerade.
Ein Diener glitt lautlos in den Raum. Er brachte die beiden Flaschen und ein Tablett mit mehreren Bechern aus venezianischem Glas.
Alexander Danilowitsch Menschikow und ich waren alleine.
Er streckte seine noch immer wohlgeformten Beine von sich und lehnte sich in dem Sessel zurück. Es sah aus, als ob das zarte Möbel unter ihm zusammenbrechen wollte. Er trank einige Schlucke, schweigend und in seine eigenen Gedanken versunken. Dann hielt er das buntgemusterte Glas gegen das Feuer und drehte es hin und her. Die Flammen schienen durch den farbigen Schliff und ließen den Wein darin aufleuchten. Der Becher sah aus wie mit Blut gefüllt.
Ich setzte mich ihm gegenüber und nippte nur vorsichtig an meinem Glas. Heute nacht sollte es keine Trinkspiele geben. Mir war, als könne ich den Wein heiß durch Menschikows Kehle rinnen sehen. Er hob wie zum Scherz sein Glas in meine Richtung. Ich saß wie erstarrt – es war, als sei soeben mein Leben von mir gegangen.
Aber mein Leben war ja auch soeben von mir gegangen: Genau das hatte mich doch hoffentlich gerettet!
»Ich trinke auf die Zariza Katharina Alexejewna. Es hat sich gelohnt, damals um dich zu spielen, meine Fürstin! Auf dich, meinen größten Verlust! Auf dich, meinen höchsten Gewinn!«
Plötzlich warf er seinen Kopf in den Nacken, so daß ihm seine Perücke vom Kopf glitt, und lachte laut auf. Er klang fast wie die Wölfe unseres Winters: hoch und höhnisch. Kein Zweifel, er hatte schon während der letzten Stunden der Wache an Peters Lager getrunken.
Ich mußte seine Frechheit gelassen hinnehmen. Peter hätte ihm dafür den Stock gegeben.
Menschikow litt wie ein Hund, das war alles, sagte ich mir. Auch sein Herr war
Weitere Kostenlose Bücher