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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Zarin durchbrach die Hoftrauer nach nur vier Monaten und vermählte ihre Tochter mit dem ehrgeizigen Herzog von Holstein. Das junge Paar verließ Sankt Petersburg unter vielen Tränen, und die Zarewna wollte sich nicht von ihrer Mutter lösen. Die Zarewna Elisabeth ist noch unverheiratet und trägt auch nach Herzenslust dazu bei, daß es so bleibt. Alles an dieser Prinzessin ist gefällig: Man muß sie als Schönheit bezeichnen. Sollte es Fehler geben, so liegen diese in ihrem Benehmen und ihrem Wesen. Aber, parbleu , so einen Ausschnitt habe ich selbst in Versailles noch nicht gesehen. Leider bin ich zu alt und auch kein Gardesoldat, als daß sie mich ansehen würde. Ich habe recht daran getan, meinem König von der Heirat mit dieser Prinzessin abzuraten. Bei ihr hätte selbst Versailles noch das Staunen gelernt!
     
    Es heißt, die Lunge der Zarin sei geschwollen, und sie könne ihren üppigen Körper nicht mehr ohne fremde Hilfe bewegen. Dabei habe ich sie erst vor zwei Wochen noch gesehen: Als der Schnee schmolz, mußte ich mit ihr ausreiten. Ich konnte ihr kaum folgen, so wild galoppierte sie durch die Wälder um die Stadt. Läuft sie einem Gespenst davon oder jagt sie etwas hinterher? Wer weiß das schon.
    Sie ist noch immer ein ausgezeichnet schönes Weib, und ich bestaune stets die Anmut in all ihren Bewegungen. Trotz ihres hellen, klaren Verstandes war sie immer froher Laune. Kein Wunder, daß die Menschen sie lieben: Ich habe sie nie anders als zuvorkommend und freundlich erlebt. Die Zarin hat wohl nie vergessen, daß sie aus einfachen Verhältnissen gekommen ist. Ich glaube, daß sie sehr krank ist, aber ich glaube auch, daß sie sich ohne den Zaren von Herzen langweilt. Schon morgens stippt sie sich fünf warme Brezeln in einen Humpen Burgunder, so daß der Rausch ihr schneller zu Kopf steigt. Vor einigen Wochen ließ sie am ersten Tag des Aprilmondes die Feuerglocken läuten. Alle stürzten in ihren Nachthemden auf die Straße und guckten recht dumm, als sie weder Feuer noch Flut entdecken konnten. Die Zarin wollte sich an ihren Fenstern ausschütten vor Lachen. Dann jedoch ließ sie Freibier ausschenken, und niemand durfte vor der Mittagsstunde zu Bett gehen. Als ob der Zar Peter noch am Leben wäre. Was habe ich die Feiern gefürchtet und gehaßt. Manchmal hatte ich das Gefühl, Wodka statt Blut in den Adern zu haben, und die Adlertassen erschienen mir im Traum. Viele Male habe ich gebetet, daß Seine Majestät mein König Louis mich nach Paris zurückbeordern sollte. Weshalb habe ich je Russisch gelernt?
     
    Wenn ich aus dem Fenster sehe, dann kann ich unruhige Lichter hinter den Fenstern des Sommerpalastes erkennen. Es kann eine lange Nacht werden. Menschikow, der so wohl zu säen und zu ernten versteht, kann jederzeit wieder nach uns schicken. Eine Seele aus Livland ist Zarin, und die Tochter eines Piroggenbäckers, Maria Menschikowa, ist dem nächsten Zaren anverlobt. Wirklich, nicht besser als bei Schaustellern. Da lobe ich mir meine Bourbonen in Paris! Reiter kommen aus dem Tor. Was geht im Palast vor sich? Was wird bleiben von der Zarin Katharina Alexejewna?
    Sie hat keine Kriege geführt, sie hat nicht geplündert und nicht gebrandschatzt. Es waren zwei gute Jahre in Rußland für all jene, die zufrieden leben und etwas schaffen wollten. Was ihr wichtig war, ist die Erziehung und die Lehre für alle Bürger. Laurentius Blumentrost und der zweite Hofarzt Gottlob Schubert lehren nun an der Akademie der Wissenschaften, und die einzige russische Zeitung erscheint nun auch auf deutsch: So viele nemzy gibt es nun schon an der Newa! Das Sankt Petersburger Gymnasium steht begabten Kindern aus allen Schichten offen, und im vergangenen Jahr konnte auch Vitus Bering seine Reisen fortführen! Selber hat sie allerdings nicht mehr lesen oder schreiben gelernt. »Ein altes Maultier verwandelt sich nicht in ein Pferd, Campredon«, sagte sie mal zu mir.
    Durch das Tor des Sommerplastes fährt gerade die Kutsche mit dem Wappen der Grafen Skawronski. Sind sie wirklich die verlorengegangene Familie der Zarin? Sind sie diejenigen, für die sie sie hält? Jeder Mensch braucht Wurzeln, und auch eine Zarin will nicht allein sterben. Nach zwölf Niederkünften halten eine Tochter und ein vermeintlicher Bruder ihre Hand in ihrer letzten Stunde. Mich überrascht in diesem Land nichts mehr.
    Ihr Schmerz kommt in Wellen, sagte mir der Gesandte Weber aus Hannover, als wir im Park des Sommerpalastes spazierengingen.

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