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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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machte.

ZWEIUNDZWANZIG

    ROBERT
    An Sir Arthur Harris von seinem Diener Robert Bolitho, am heutigen 15. Tag des Oktober, anno 1625.
    Sir, dies schreibe ich im Kontor der Herren Hardwicke & Buckle, Reederei der Türkischen Gesellschaft, Cheapside, London, um Euch über meine Bemühungen auf dem Laufenden zu halten. Ich habe eine bedeutsame Entscheidung getroffen, eine, die kaum Eure Billigung oder Unterstützung finden wird …
    U nzählige Gerüchte über das Schicksal derjenigen, die an diesem furchtbaren Julimorgen aus der Kirche in Penzance verschwunden waren, hatten sich wie aus einem Glockenturm verscheuchte Fledermäuse in ganz West Cornwall verbreitet. Manche machten den Teufel verantwortlich, andere die Hand Gottes wegen des lästerlichen Gezeters der verrückten Annie Badcock, doch dann hatte Andrew Thomas beschämt eingeräumt, die Freibeuter gesehen zu haben, als sie im Hafen von Penzance einliefen. Er hätte eigentlich in der Kirche sein müssen, war jedoch mit einem schlimmen Kater aufgewacht, nachdem er am Abend zuvor im Dolphin zu lange gebechert hatte. Zuerst hatte er geglaubt, der Alkohol habe ihm einen Streich gespielt, aber als das Geschrei ausbrach, hatte er begriffen, dass die Horde dunkelhäutiger Banditen mit Turbanen und Krummschwertern, die gelandet und kurz darauf mit einer großen Anzahl
Gefangener, darunter Bürgermeister und Ratsherr, wieder verschwunden waren, keineswegs die Folge seines Alkoholrauschs war, sondern die nackte Wahrheit. Drei Schiffe, so hatte er schluchzend, zitternd und händeringend dem Stadtrat berichtet. Eine hübsche Karavelle und zwei fremdartig aussehende Boote mit Lateinersegeln und offenen Decks. Er kannte sie als Schebecken, obwohl es lange her war, dass er im Mittelmeer unterwegs gewesen war, wo er solche Schiffe zuletzt gesehen hatte, und es war diese Einzelheit, sowie seine Beschreibung der Piratenmannschaft, die den entscheidenden Hinweis auf die Identität der Angreifer geliefert hatten: Piraten aus den Barbareskenstaaten, berühmt für ihre Kühnheit und die Brutalität, mit der sie ihre Gefangenen behandelten. Die meisten wurden nach Algier oder Tunis verschifft, und von da aus bisweilen sogar an den Hof des Sultans des Osmanischen Reichs in Konstantinopel.
    Als Rob von Cats Brief erfuhr, hatte er im Hof von Kenegie gestanden und auf ein Stück Pferdegeschirr gestarrt, das er in der Hand hielt, ohne die leiseste Idee, warum er es aus der Scheune geholt oder was er damit vorgehabt hatte. George Parsons war zu ihm gekommen, als er gerade in diesem ungewöhnlich abwesenden Zustand war (ungewöhnlich deshalb, weil Robert Bolitho als praktischer Mensch galt, der sich gänzlich auf seine Arbeit konzentrierte und stets wach und aufmerksam war). George hatte Rob drei Mal ansprechen müssen, bevor der reagierte. Seit dem Überfall auf die Kirche hatte Rob diese Zustände des Öfteren an sich beobachtet. Er konnte an nichts anderes mehr denken als an Cat, und ob sie noch lebte. Er befand sich in einer Art Schwebezustand, lebte von einem Tag zum anderen und wartete darauf, dass man herausfand, wohin sie verschleppt worden war, auf den Augenblick, an dem er entscheiden konnte, was er tun würde. Rob war kein Mann, der zur Grübelei neigte, deshalb war die Wirkung, die Cats Entführung auf ihn hatte, ein Schock für ihn. Er ertappte sich dabei,
wie er an der kleinsten und gewöhnlichsten Aufgabe verzweifelte, oder merkte, dass seine Gedanken mitten im Satz abschweiften; er wachte nachts zu den unmöglichsten Zeiten auf und wusste nicht, wo er war oder warum. Er hatte Albträume; eine Zeit lang glaubte er sogar, von einem Dämon besessen zu sein, bis ihm aufging, dass es sein eigenes schlechtes Gewissen war, das ihn plagte. Er machte sich die verrücktesten Vorwürfe: Die Angreifer hätten ihn mitnehmen sollen, nicht Cat. Er hätte in der Kirche bei ihr bleiben müssen, um sie vor den Korsaren zu beschützen, statt wegen eines oder zweier böser Worte nach Gulval zurückzufahren. Mangelte es ihm denn derart an Entschlusskraft? Er hatte sie nicht einmal zu überreden vermocht, seinen Ring anzunehmen, was er nun bitterlich bereute, als könnte dieser sie irgendwie beschützen, sie zu der seinen machen, ja, sie vielleicht sogar wie durch ein Wunder zu ihm zurückbringen.
    »Rob, Rob! Robert Bolitho - der Herr ruft nach dir. Im Salon, sofort!«
    Sein Kopf hob sich so langsam, als stiege er aus dem tiefen Wasser eines Traums wieder an die Oberfläche. »Bitte um Vergebung,

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