Die Zehnte Gabe: Roman
ist: Sollte irgendwer in England über unsere Geschäfte hier berichten - und es gibt viele in dieser Stadt, die kommen und gehen, wie es ihnen gefällt, und vielfältige Kontakte nach Europa haben - enden wir vermutlich am Galgen. Reicht dir das?«
Rob starrte ihn an. »Mein Gott!«, sagte er schließlich. »Wo bin ich hineingeraten?«
»Wie gesagt, du wärst lieber zuhause geblieben.«
»Tja. Aber jetzt bin ich hier, auf Gedeih und Verderb«, gab Rob finster zurück.
SIEBENUNDZWANZIG
Tja, hier bin ich, auf Gedeih & Verderb, sagte ich zu ihm, doch wie verdammt ich tatsächlich war, wußt’ ich damals noch nicht …
I ch frage mich, für wen er das geschrieben hat«, sagte ich schließlich, faltete das Blatt zusammen und legte es zu den Resten unseres Frühstücks auf den Tisch. Wir saßen draußen auf der Dachterrasse an einem wackligen alten Tisch, den Idriss aufgestellt hatte. Ein riesiger ausgebleichter Sonnenschirm mit Zementfuß schützte meine blasse englische Haut vor dem schlimmsten Vormittagslicht.
»Ist es kein Tagebuch?«
»Es sieht eher aus wie ein Teil eines Briefes. Hier, die zerrissenen Ränder ringsum sind auf der Fotokopie gut zu erkennen. Nichts deutet auf eine Buchbindung, und die Wörter sind auch nicht verzerrt, wie zu erwarten, wenn Michael die Stelle aus einem Buch fotokopiert hätte. Seltsam. Es ist auf einem anderen Papier geschrieben als der Brief an Sir Arthur Harris, und die Schrift sieht auch anders aus, kleiner und sauberer.«
»Vielleicht hat er den Brief an seinen Arbeitgeber in Eile geschrieben.«
»Oder als junger Mann …« Ich biss mir auf die Lippen. »Sie glauben also, Robert Bolitho ist tatsächlich bis nach Marokko gereist, um Catherine aus der Sklaverei zu retten?«
»Das war sicherlich seine Absicht, und er muss Erfolg gehabt haben, sonst wäre das Buch nie wieder in England aufgetaucht.«
Ich seufzte. »Was für eine romantische Geschichte! Vielleicht ist es letztlich nur ein Märchen.«
Idriss verzog das Gesicht. »Wenn er aber Erfolg hatte, dann verstehe ich nicht, warum er sich als verdammt bezeichnet. Vielleicht hat er sie geheiratet, aber sie war ihm keine gute Frau und machte ihn unglücklich. Vielleicht hat sie ihn betrogen, war grausam oder ist durchgebrannt. In der Geschichte steckt mehr, als wir bislang wissen.«
»Hmmm«, erwiderte ich unverbindlich, da ich keine Lust hatte, den daraus folgenden Konsequenzen ins Auge zu sehen.
Catherines Tagebuch hatte urplötzlich ziemlich unbefriedigend und inmitten eines Schwalls von häuslichen Details geendet. »Tag für Tag kommen die Frauen aus der Kasbah zum Haus, um bei mir zu sitzen und zu sticken. Wir arbeiten mit Seidengarn in allen Farben des Regenbogens. Ich habe noch nie solch herrliche Farbabstufungen gesehen, abgesehen von den Blumen in Lady Harris’ Garten auf Kenegie.« Oder: »Hasna hat mir beigebracht, wie man ein Gebäck namens ›Gazellenhörnchen‹ zubereitet«, was immer das sein mochte. Ich las von einem Gewand, das sie genäht hatte, dass sie ihr eigenes Khol aus einer Substanz herstellte, die man im Souk kaufte (bei ihr stand »sook«), oder ein paar Brocken der fremden Sprache lernte. All das waren faszinierende Informationen im Hinblick auf ein historisches Dokument, für mich aber, das muss ich beschämt eingestehen, waren sie zutiefst frustrierend. Während ich mich durch diese Beschreibungen kämpfte, die mit lauter unbekannten Begriffen gespickt waren, hatte ich den Eindruck, dass sie ihr Leben als Sklavin in Salé durchaus genossen hatte, falls man sie überhaupt als solche bezeichnen konnte, denn in einem relativ herrschaftlichen Haus Unterricht in Handarbeit zu erteilen, ohne schwerere Pflichten zu haben, entsprach sicherlich nicht dem Leben, das ich bei einer Frau in ihrer Situation erwartet hätte. Das Ärgerlichste war, dass ihr Tagebuch nicht verriet, was passiert war, als Rob aus heiterem Himmel auftauchte, um sie nach Cornwall zurückzuholen.
»Mir scheint, dass Ihr Michael die andere Hälfte des Puzzles besitzt«, drängte Idriss.
Auch mir erschien das einleuchtend, und bei dieser Vorstellung wurde mir ziemlich mulmig. Die Fotokopien waren als Köder gedacht: Er wollte das Buch und benutzte Robs Briefe, um mich in eine Falle zu locken. Ich wollte ihm das Buch nicht geben, aber ich wollte unbedingt die andere Seite der Geschichte erfahren. Und trotzdem war ich noch nicht bereit, Michael wiederzusehen.
Daher fragte ich: »Wann besuchen wir Ihren Freund
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