Die Zehnte Gabe: Roman
verflucht halsstarrig gewesen wär. Um Türke zu werden, muss man nur ein paar Worte aufsagen und sich ein bisschen nutzlose Haut wegschneiden lassen. Ist nicht
viel, und man hat ein verdammt besseres Leben als vorher. Jetzt kann er froh sein, den Fischen als Futter zu dienen.«
»Er wird das Schiff erreichen«, sagte Cat zornig.
»Nichts wird er erreichen mit all dem Eisen an den Beinen.« Er packte sie am Arm. »Und jetzt runter mit euch, wir haben anderes zu tun.«
Im Unterdeck kauerten sie sich in ihre Reihen, warteten und horchten. Als sie das erste Dröhnen der Kanonen hörten, wussten sie, dass die Schlacht begonnen hatte. Die Frau links von Cat, die bislang so in ihrem Elend versunken gewesen war, dass sie kaum ein Wort mit ihr gesprochen hatte, griff plötzlich nach ihrem Arm.
»Ich heiße Harriet Shorte«, sagte sie. »Falls ich sterbe und du das Ganze überlebst, soll mein Mann erfahren, was mir geschehen ist. Er heißt Nicholas Shorte - alle nennen ihn Little Nick. Wir haben ein Häuschen in der Market Street in Penzance. Jeder kennt uns dort. In der Nacht zum Sonntag, vor der Messe, hatten wir einen Streit. Er sagte, er wär kein Puritaner und wollte auch nicht, dass seine Söhne puritanisch erzogen werden, deshalb ist er mit den Kindern zu St. Rafael und St. Gabriel gegangen.« Ein ohrenbetäubender Knall ließ das ganze Schiff erzittern wie ein göttlicher Fausthieb. Tränen liefen über Harriets Wangen, Cat konnte sie selbst in der Dunkelheit schimmern sehen. »Ich wünschte, ich hätte auf ihn gehört. Wär ich nicht so widerspenstig gewesen, wär ich jetzt nicht hier. Ich gehöre zu ihnen, niemals hätte ich in meiner Wut einfach weglaufen dürfen.« Sie schluckte. »Ich hab ihm gesagt … hab ihm gesagt … er soll zum Teufel gehen, und dann bin ich rausgelaufen. Das ist Gottes Strafe für mich, ich weiß es, ich weiß es …« Dann brach sie schluchzend zusammen.
Cat legte ihre Hand auf die der Frau. »Ich verspreche, falls dir etwas passiert, lasse ich es ihn wissen. Aber dazu wird es nicht kommen, glaub mir. Alles wird gut«, log sie. Wenn eine Kanonenkugel
das Unterdeck traf und das Schiff volllief, würde keiner von ihnen überleben. An die Eisenstangen gefesselt würden sie allesamt ertrinken.
Ein grässliches Knirschen erschütterte die gesamte rechte Seite des Schiffes. Sie hörten Musketen und gedämpfte Schreie in der Ferne, ein lautes Dröhnen, wie Donner, von oben, dann ging ein großer Ruck durch das Schiff. Das Wasser in der Bilge schwappte, und sie bewegten sich wieder vorwärts, ziemlich schnell, wie es schien.
Das Donnern schien sich zu entfernen. Hin und wieder erbebte das Schiff unter dem Rückstoß der eigenen Kanonen, die das Feuer erwiderten. Schließlich kehrte Ruhe ein. Nur das Ächzen der Planken und das leise Rumoren der See waren zu hören.
»Sie versuchen, ihnen zu entkommen«, sagte eine grobe Stimme. »Sie sind ihnen unterlegen, jetzt müssen sie fliehen.«
»Was heißt das für uns?«, rief Jane Tregenna. »Werden sie uns versenken, wenn sie uns einholen?«
»Eher werden sie versuchen, uns zu entern. Es ist ein altes Schiff, aber noch seetüchtig, eine hübsche Beute für jeden Kapitän. Und bestimmt ist ein Preis auf die Köpfe der Piraten ausgesetzt. Obendrein können sie diese Mistkerle gegen ihre eigenen Gefangenen austauschen. Es heißt, die Kerker der Barbaren seien voll mit Spaniern, die von den Peitschen der Galeonenaufseher gezeichnet sind.«
»Die Spanier haben nichts übrig für Engländer«, brummte Walter Truran.
»Für dich bestimmt nicht, so viel steht fest«, lachte ein anderer Mann mit irischem Akzent bitter. »Aber keine Sorge, ich werde ihnen nicht verraten, dass du kein Katholik bist.«
Sie segelten weiter, und die Nacht brach herein, doch niemand kam herunter, um ihnen zur üblichen Zeit etwas zu essen zu bringen.
»Irgendwas ist da faul«, sagte Isacke Samuels nachdenklich.
Noch während er sprach, ging die Klappe auf, und Ashab Ibrahim kam mit zwei Handlangern herunter. Einer trug einen blutverschmierten Turban auf dem Kopf, der andere hatte den Arm verbunden. Die Gefangenen sahen sich schweigend an: Wo war ihr Essen?
»Habt ihr nicht mal ein bisschen frisches Wasser für uns?«, quengelte Jane Tregenna.
»Wir sind nicht hier, um euch zu bedienen«, entgegnete Ibrahim. »Ich hab einen Befehl vom raïs .«
Darauf kam es zu großer Unruhe. Viele Gefangene schrien und fluchten.
»Ruhe oder ich stopfe euch das Maul!«,
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