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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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gefärbt hatte, sein leuchtend rotes Haar und die Hörner auf dem Kopf, die Engel, die in weiße Laken gehüllt auf und ab schwebten, sich hin- und herwiegten, hin und her, hypnotisch und beunruhigend. Doch die Maskenspieler waren in sicherer Entfernung geblieben, und sie hatte stets gewusst, dass sie anschließend wieder nach Hause gehen würden.
    Unterdessen hatten sich alle Mitglieder der Mannschaft auf der linken Seite des Schiffes vor einem älteren Mann mit einem weißen Gewand und Kapuze über dem Kopf versammelt. Einen Augenblick blieben sie stumm stehen, als wären sie tief in Gedanken versunken, selbst diejenigen, die den wildesten Eindruck machten. Anschließend fielen sie auf die Knie und verharrten
eine Weile in dieser Position. Schließlich warfen sie sich zu Boden und berührten mit der Stirn das Deck: ein Mal, zwei Mal. Schockiert begriff Cat, dass sie beteten und ihr Kapitän mitten unter ihnen war, ohne Ansehen seines Ranges, als wäre er einer von ihnen.
    Nun erhoben sie sich und wiederholten das Ritual. Die Gefangenen traten unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Niemand wusste, was sie machen sollten. Es gab kein Versteck auf dem Schiff, nirgends, wohin sie hätten fliehen können, nur das riesige, weite, leere Meer. Einer nach dem anderen wandte den Blick von den betenden Männern ab. Und genau in diesem Augenblick entdeckte John Symons das Schiff.
    »Ein Schiff!«, flüsterte er heiser und deutete in die Ferne.
    Cat und die anderen wandten sich um und schützten ihre Augen vor dem blendenden Licht. Da war es, am nördlichen Horizont, ein großer Rahsegler, noch zu weit entfernt, um die flatternde Fahne am Toppmast zu erkennen.
    »Spanier«, erklärte ein Mann. Er war auf dem Handelsschiff gewesen, das die Piraten im Ärmelkanal aufgebracht hatten.
    »Eine Karavelle sagt noch gar nichts«, grunzte Dick Elwith. »Die Freibeuter aus Sallee haben alle möglichen Schiffe - Galeeren, Schebecken, Brigantinen, Koggen und Karavellen. Die Herkunft heißt auch nichts, es kommt darauf an, wer das Ruder führt. Und es hat auch keinen Sinn, sich anzustrengen, um die Fahne zu erkennen, denn ich weiß aus leidiger Erfahrung, dass sie aus praktischen Gründen unter allen möglichen Flaggen fahren, bevor sie im letzten Moment ihre eigenen verdammten Wimpel hissen.« Trotzdem kniff auch er die Augen zusammen und musterte angespannt das näher kommende Schiff.
    Welche Rolle spielte es schon, ob es ein spanisches Schiff war? Cat erinnerte sich an Geschichten, in denen die Spanier Häuser in Mousehole, Newlyn, Penzance und auch die Kirche von Paul unter Beschuss genommen hatten. Sie glaubte kaum, dass
ihre alten Feinde sie besser behandeln würden als ihre Entführer. Doch was, wenn sie das Piratenschiff angriffen? Sie konnte mittlerweile die Geschützpforten auf dem größeren Schiff erkennen. Welche Chance hatten sie gegen diese Kanonen? War es besser, versenkt oder als Sklavin verkauft zu werden? Plötzlich wurde ihr so übel, dass sie zur Reling torkelte und sich übergab.
    Vielleicht hatte ihre abrupte Bewegung die Aufmerksamkeit des raïs geweckt, denn im selben Moment sah er von seinem Gebet auf. Seine Augen weiteten sich, und im nächsten Augenblick war er auf den Beinen und brüllte Befehle. Die Matrosen sprangen hektisch auf und nahmen ihre Posten an den Segeln und Kanonen ein. Zwei Männer kletterten in die Takelage des Hauptmastes, um einen besseren Blick auf das andere Schiff zu haben; an Deck holte jemand die Piratenflagge ein.
    Wie im Auge des Hurrikans erstarrt, standen die Gefangenen da, ganz still inmitten des Chaos. »Schafft sie nach unten!«, rief der raïs Ibrahim und seinem Gehilfen zu und deutete auf die Gruppe der Engländer.
    Dick Elwith warf einen Blick auf den Renegaten, der auf sie zukam, und sah dann auf das Schiff, als wägte er etwas ab. Cat sah, wie er leise in sich hineinlächelte und ihr anschließend zublinzelte. »Ich kann das nicht alles noch einmal durchmachen«, sagte er leise. »Lieber gehe ich das Risiko mit den Spaniern ein oder ertrinke, als mich noch einmal am Ruder einer Galeone auspeitschen zu lassen.« Dann stemmte er sich am Dollbord hoch und ließ sich wie ein Stein ins Wasser fallen.
    Ibrahim rannte ihm nach, doch es gab nichts, was er hätte tun können. »Dämlicher Hund«, schimpfte er und beobachtete, wie sich das schäumende Wasser da, wo Elwith aufgeprallt war, wieder beruhigte. »Er hätte’nen feinen Piraten abgeben können, wenn er bloß nicht so

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