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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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schwieligen Fingern hin-und herdrehte. Cat war klar, dass die Frau kein Wort von dem lesen konnte, was sie geschrieben hatte, trotzdem schnalzte sie zufrieden mit der Zunge und rollte das Blatt zusammen.
    »Ich bringe zu Djinn.«
    Cat runzelte die Stirn. »Al-Andalusi?«
    Als Antwort zischte die Frau sie nur an und verschwand eilig in den Schatten. Cat sank in die Polster zurück und wandte ihr Gesicht den Sonnenstrahlen entgegen, die durch die Jasminranken fielen. Die Blüten erfüllten die reglose Luft mit ihrem betäubend süßen Duft. Sie saß in einer Nische des gekachelten Innenhofs. In den Ranken, die über das filigrane Spalier des Balkons wucherten, sangen winzige rotbraune Vögel. Der Balkon zog sich um den gesamten Patio eines eleganten zweistöckigen Hauses. Ein Orangenbaum breitete seine Äste über eine Ecke, während in der gegenüberliegenden ein kleiner gemusterter Teppich lag, dessen ehemals leuchtende Farben von der Sonne ausgebleicht waren. In der Mitte des Innenhofs plätscherte Wasser in eine erhöhte Marmorschale, in der blassrote Rosenblüten schwammen. Die Stille, das Licht, der Duft und der erlesene Geschmack dieses Ortes waren so weit entfernt von der widerlichen mazmorra , dem stockdunklen, nach Kot und Urin stinkenden Kerker, in den sie und die anderen Gefangenen geworfen worden waren, dass sie sich nun nichts sehnlicher wünschte, als hierbleiben zu dürfen, selbst wenn es bedeutete, dass sie den verfluchten Brief noch tausend Mal neu schreiben musste.
    Cat hatte nur drei Tage in der mazmorra verbracht (den Rufen des Muezzins nach geschätzt, denn kein Sonnenlicht drang in ihre Zelle), doch schon hatten diese jedes andere Bild der Hölle verdrängt, das ihr Bewusstsein jemals beschworen hatte. Sie
alle - Männer, Frauen und Kinder -waren dort unter derart unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht gewesen, dass man daraus nur einen Schluss ziehen konnte: Ihren Entführern war es mehr oder minder gleichgültig, ob sie überlebten. Am Morgen waren zwei Männer in aller Frühe aufgetaucht und hatten mit starkem Akzent ihren Namen gerufen, sodass es ein paar Sekunden gedauert hatte, bis irgendwem aufging, dass sie nach Cat riefen. Sie hatten sie in ein schwarzes Gewand gesteckt, ihr einen Schleier umgebunden und sie mit gefesselten Händen, stolpernd und blinzelnd, zu diesem Haus geschleift. Dort war sie in einen dunklen kühlen Raum gestoßen worden, dessen Tür laut hinter ihr zufiel. Der Kontrast zwischen dem blendenden Sonnenschein in den Straßen und dem dämmrigen Licht im Innern des Hauses hatte sie verwirrt. Als die vertraute Stimme die Stille zerriss, war sie vor Schreck zusammengefahren.
    »So, Cat’rin Anne Tregenna. Wie gefällt dir dein neues Quartier?« Und dann hatte er gelacht. Es war ein grausames Lachen gewesen, bei dem ihr die Tränen in die Augen geschossen waren. Schließlich hatte er mit den Fingern geschnippt, und ein dunkelhäutiger Junge, der bis zu diesem Augenblick reglos im Schatten gehockt hatte, war aufgesprungen und hatte einen Fensterladen geöffnet. Die Sonne war ins Zimmer geströmt, hatte die Wände vergoldet und die vornehme Einrichtung und den Mann, der auf einem mit Kissen gepolsterten Diwan lag, in bernsteinfarbenes Licht getaucht.
    Al-Andalusi trug ein himmelblaues Gewand, das mit golden bestickten Tressen verziert war, und einen weißen Turban. Er sah aus wie der personifizierte Sommer, und im Gegensatz dazu kam sich Cat mehr denn je wie die verlauste, schmutzige Wilde vor, zu der sie in so kurzer Zeit geworden war.
    »Du wirst einen Lösegeldbrief für deine Landsleute schreiben«, hatte er ihr erklärt und dann grob umrissen, wie dieser auszusehen hatte, wie viel Geld verlangt wurde und ihren Ausruf des Entsetzens ignoriert. »Du wirst erzählen, wie schrecklich
die Zustände sind, in denen ihr lebt, auch dass wir euch gnadenlos auspeitschen und täglich auffordern, eurem Glauben abzuschwören …«
    Cat starrte ihn an. »Niemand ist ausgepeitscht worden, seitdem wir Euer Schiff verlassen haben«, entgegnete sie mutig. »Und niemand hat den Versuch gemacht, uns zu bekehren.«
    Al-Andalusis Augen glitzerten. »B-a-s-t-i-n-a-d-e«, buchstabierte er und ließ es sich von ihr wiederholen. »Weißt du, was das ist?«
    Cat schüttelte den Kopf.
    »Man wirft jemand auf den Boden und hebt seine Füße nach oben. Dann schlägt man ihn auf die Fußsohlen, bis sie schwarz sind. Ist sehr schmerzhaft, hat man mir erzählt. Niemand hält einer solchen Tortur

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