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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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fiel auf den nur wenige Schritte entfernten Leichnam. Kar hatte ihm die Augen ausgestochen. Im Reich seiner Ahnen sollte er mit Blindheit geschlagen sein, als Rache für ihren Sohn, den man ihr aus den Armen gerissen und getötet hatte.
    Mit finsterer Miene starrte Kar sie an. In dem Augenblick verstummten die Kampfgeräusche. Ein Mann mit zerzaustem Haar stand breitbeinig im blutrot gefärbtem Schnee, inmitten massakrierter Körper. Ein Speer steckte in seinem Oberschenkel, aber es war nicht der Schmerz, der den Ausdruck des Fremden zeichnete, sondern blanke Wut. Fest umklammerte das Spitzgesicht den Speerschaft – dann ein plötzlicher kräftiger Ruck; laut schrie er dabei auf, als er den Speer aus seinem Fleisch zog. Ohne ein Zeichen von Schwäche löste er die Schnürung des fellumwickelten Beines und legte die Wunde frei, zerschnitt mit etwas, das er unter seinem kurzen, gerademal die Hüfte bedeckenden, Überwurf hervorholte, gleich darauf den Hüftriemen eines getöteten Feindes und versuchte sich damit die Wunde am Bein zu verbinden. Dabei sackte er zu Boden. Als er seinen Oberkörper wieder aufrichtete, blieb sein suchender Blick an den Mädchen haften. Er rief ihnen etwas Unverständliches zu.
    „Die Ahnen stehen uns bei! Er kann uns niemals einholen“, brach es aus Maramir heraus.
    „Sei still!“, forderte Kar barsch. „Aus deinem Mund spricht die Angst. Wir haben einen Speer und ein Messer; zu wenig zum Überleben in der Schlafzeit des Großen Himmelsfeuers. - Aber genug, um das Spitzgesicht zu töten. Dann haben wir genug; Fleisch und Waffen, Kleidung und Felle. - Wir holen uns zurück, was sie unseren Toten genommen haben.“
    Leinocka klammerte sich noch immer an Maramir.
    „Wie zwei ängstliche Langohren“, spottete Kar. „Welches Blut fließt in dir, Leikika?“
    Zeit ihres Lebens hatte Kar Maramir so genannt, Leikika – Kleine Schwester. Aber jetzt schwang Verachtung in Kars Stimme mit, und Maramir begriff, daß sie nicht nur Kar, sondern auch die Ahnen mit ihrer Feigheit beschämte.
    „Welches Blut fließt in dir?“, wiederholte Kar. „Das der Langohren oder das der Wölfe?“
    Entschlossen reichte Kar ihrer Schwester das blutige Messer, in der anderen Hand hielt sie krampfhaft den Speer. Sanft aber bestimmt drängte Maramir Leinocka von sich, ergriff zögerlich das Messer und erhob sich.
    „Komm jetzt!“, befahl Kar. „Oder soll ich das Spitzgesicht alleine töten ...“
    Mit ausdrucksloser Miene beobachtete das Spitzgesicht, wie die beiden Mädchen sich ihm mit vorgehaltenen Waffen langsam und gebückt näherten. Maramirs Beine drohten zu versagen, ihre Hände wurden feucht und Schweiß benetzte ihre Stirn. - Kar würde das Spitzgesicht töten, sie bräuchte gar nicht viel zu tun, nur ihrer Schwester zur Seite stehen und aufpassen, daß Kar dabei nichts zustieß. Es dürfte ganz sicher nicht schwer werden, einen verletzten Jäger zu töten, der nicht im Stande war, sich ernsthaft zu wehren. Ein ungleicher, kurzer Kampf ... und sie würden sich alles nehmen können.
    Je näher sie ihrem Opfer kamen, desto deutlicher hörte Maramir röchelnde und stöhnende Laute. Unmittelbar vor ihr lag mit eingeschlagenem Schädel, so daß sein Gehirn herausquoll, einer ihrer Entführer. Zwei Schritte weiter sah sie dann auf den rothaarigen Mann herab, der ihr zuvor soviel Furcht eingeflößt hatte. Beinahe reglos lag sein Körper im blutgetränkten Schnee. Auf eine Wunde am Bauch drückte er seine verkrampften Hände, und eine andere Wunde klaffte an seinem Hals. Die leeren, offenen blauen Augen und das leise Stöhnen aus seinem Mund bezeugten, daß er sich schon fast im Reich seiner Ahnen befand. Maramir kostete den süßen Geschmack der Vergeltung, als sie ihm ins Gesicht spuckte und ihn dabei triumphierend ansah. In ihr erwachte der Wunsch, seinem Schädel die Seele zu rauben und die Wölfe damit zu füttern. - Aber darum würde sie sich später kümmern.
    Nebenbei entdeckte sie unter den Toten auch das andere Spitzgesicht. Auf dem Bauch, so daß sein Gesicht nicht zu sehen war, lag er in seinem Blut. Ein wütender Aufschrei ließ Maramir jäh erstarren. Das verletzte Spitzgesicht, unversehens auf die Füße gesprungen, dem zögerlichen Hieb von Kar geschickt ausgewichen, bekam mit einer Hand deren Speer zu fassen ... schon schnellte eine knöcherne Keule auf Kar nieder, die nur knapp ihr Ziel verfehlte. Ungeschickt war Kar ausgewichen, hatte das Gleichgewicht verloren und lag nun vor Maramirs

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