Die Zeit der hundert Königreiche
abzuschätzen, geglaubt hatte. Bard kam wie durch ein Wunder unverletzt davon. Ein Wunder schien es Paul, weil er während des ganzen Kampfes, wohin er auch blickte, Bard mitten im dicksten Getümmel erkannt hatte. Paul selbst hatte einen Schwertstreich gegen das Bein erhalten, der seinen Hosen mehr Schaden zufügte als etwas anderem. Als die demoralisierte Serrais-Armee floh und Dom Eiric sich auslieferte – Bard hängte ihn auf der Stelle als Eidbrecher –, ging die Sonne unter. Pauls Bein fror unter den flatternden Überresten seiner ledernen Breeches. Er ritt mit den Adjutanten in das nahe gelegene Dorf und half ihnen, eins der Häuser als Hauptquartier einzurichten. Die Männer waren drauf und dran, zu plündern und zu vergewaltigen und dann das Dorf niederzubrennen, aber Bard gebot ihnen Einhalt.
»Die Leute sind Untertanen meines Bruders. Sie haben rebelliert, das ist wahr, aber trotzdem sind sie unsere Untertanen. Sie mögen dazu gezwungen worden sein, die Serrais-Armee zu unterstützen. Deshalb sollen sie eine Chance bekommen, uns zu zeigen, ob sie ihrem König treu sind, wenn sie frei handeln können und kein Messer an der Kehle haben. Es wird jedem Mann in dieser Armee schlecht ergehen, der einen unserer Untertanen, loyal oder nicht, berührt. Bezahlt für das, was ihr nehmt, und laßt Frauen, die nicht wollen, in Ruhe.«
Paul hörte zu und dachte, er hätte Bard nicht zugetraut, daß er diese Art von Vernunft besaß und seine Männer vom Plündern abhielt. Aber als er mit Bard darüber sprach, lächelte dieser. Er sagte: »Sei nicht dumm. Ich bin nicht großmütig, obwohl natürlich stimmt, was ich sagte, und es sich für das königliche Haus von Asturias und mich selbst auszahlen wird, wenn ich gegen unsere Untertanen großmütig bin. Aber es geht um mehr, um viel mehr. Es ist einfach nicht genug da, weder an Beute noch an Frauen, um diese Armee zu befriedigen. Und wenn die Männer sich alles genommen hätten, was es zu nehmen gab, würden sie darum zu streiten beginnen und sich gegenseitig in Stücke hacken – und das kann ich in meiner Armee nicht zulassen.« Er grinste verrucht. »Gegen die Offiziere bin ich aber nicht so streng – und du hast die erste Wahl, weil du den Angriff angeführt hast. Vielleicht sind wir uns doch nicht gar so ähnlich. Du bist mutiger als ich, daß du mitten durch diese Harpyienschar reiten konntest! Oder ist dir nur früher als mir der Verdacht gekommen, daß es eine Illusion war?«
Paul schüttelte den Kopf. »Weder noch. Ich habe einfach nichts gesehen.«
Bard starrte ihn an. »Überhaupt nichts?«
»Nichts. Nach einer Weile begann ich, sie durch deine Gedanken zu sehen – aber mir war bewußt, daß nur deine Augen sie erblickten, nicht meine.«
Bard spitzte die Lippen und pfiff. »Das ist sehr interessant! Du hast den Brand des Turms von Hali empfangen – ihr Götter oben und unten, war das scheußlich! Kriege sollten mit Schwertern und Kraft geführt werden, nicht mit Zauberei und Feuerbomben! Das höllische Zeug wird durch Zauberei in den Türmen hergestellt; kein normaler Prozeß kann es erzeugen.«
»Ich bin ganz deiner Meinung«, erklärte Paul. »Aber auch in dem Fall nahm ich es durch Melisandras Gedanken wahr. Ich selbst habe nichts gesehen.«
»Ja. Sex schafft ein Band. Und ich habe oft vermutet, daß Melisandra eine katalytische Telepathin ist. In einem Turm würde sie dazu eingesetzt werden, latentes Laran in einer Person zu erwecken, die es aus irgendeinem Grund nicht benutzen kann. Ohne es zu beabsichtigen, muß sie auch mein bißchen Laran aktiviert haben. Die Götter wissen, sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, mir einen Gefallen zu tun! Und manchmal denke ich, daß es gar kein Gefallen war, obgleich die meisten Leute es dafür ansehen würden. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre immun gegen Laran oder zumindest gegen Illusionen. Wenn du heute nicht den Befehl zum Angriff gegeben hättest, wäre uns das letzte bißchen Vorteil verlorengegangen. Es mag uns von Nutzen sein, daß du immun gegen Laran bist, falls du nicht in Kontakt mit mir oder Melisandra oder jemand anders, der dir nahesteht, bist. Vielleicht reden wir später noch einmal darüber. Du könntest da etwas für mich tun.« Er kniff die Augen zusammen und sah Paul scharf an. »Ich muß noch darüber nachdenken. Inzwischen muß ich mich mit diesem rebellischen Dorf befassen. Bleib hier und hör zu, was geschieht; du wirst eines Tages etwas Ähnliches tun müssen.«
Paul
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