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Die Zeit der hundert Königreiche

Die Zeit der hundert Königreiche

Titel: Die Zeit der hundert Königreiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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aufgeben, die zudem die Mutter seines Sohns war? Melisandra war nicht nur schön, sondern auch klug und geistreich, im Laran ausgebildet und besaß all die Anmut und Würde, um die Zierde eines Hofes und Königin oder zumindest die Lady eines Generals zu werden, und sie hatte an Bards Seite in der Schlacht gekämpft. Paul hatte geglaubt, Bard gut zu kennen, aber jetzt fühlte er sich bis ins Innerste erschüttert, weil die Unterschiede tiefer gingen, als er sich vorgestellt hatte.
    Nein, Bard begehrte sie nicht, dachte Paul, während er der sich entfernenden Carlina nachsah. Er konnte sie nicht begehren. Paul wußte doch, was Bard wollte. Er hatte Melisandra gewollt, bis sie seinen Stolz auf unerträgliche Weise verletzte. Er hatte die rundliche Kleine gewollt, die sie sich nach der Schlacht geteilt hatten. Bard sollte Carlina wollen? Niemals.
    Er war besessen von Carlina, und das war etwas anderes. Als ob Bard es ihm erzählt hätte, wußte Paul, daß Bard in Carlina nur König Ardrins Tochter und den Beweis sah, daß er des Königs rechtmäßiger Schwiegersohn war, nicht ein verbannter Gesetzloser, der sich verzweifelt um irgendeine Stellung im Leben, eine Identität bemühte.
    Ein Grund mehr , dachte Paul, daß ich Carlina sofort zu meiner Verbündeten machen sollte … und doch könnte ich dafür niemals Melisandra aufgeben. Wahnsinn! Melisandra gäbe sogar eine bessere Königin ab. Trotzdem, wenn Bard Carlina hat, wird er mit mir nicht um Melisandra streiten …
    Ich muß also dafür sorgen, daß Carlina in Bards Hände geliefert wird, und das so schnell wie möglich. Und wenigstens wegen einer Sache brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Es wird mir leichtfallen, die Finger von ihr zu lassen. Ich möchte sie nicht in meinem Bett haben, und wenn sie dreißigmal eine Königin wäre .
    Eine dynastische Heirat mit Carlina trug Bard – oder an seiner Stelle Paul – einen eigenen Anspruch auf den Thron ein, wenn der kränkliche Alaric kinderlos starb – und das war wahrscheinlich. Nun, dann den Thron und Carlina für Bard. Und für Paul – Freiheit und Melisandra! Bard würde sich niemals sicher fühlen, solange er lebte. Aber wenn er es schaffte zu fliehen, vorzugsweise so bald wie möglich, dann war Bard mit der Verteidigung seines Throns vielleicht zu beschäftigt, um ihnen Verfolger nachzuschicken. Zuerst jedoch mußte Bard Carlina haben.
    Die Priesterinnen waren auf dem Pfad weitergegangen, und Paul schlich ihnen in der Deckung der Bäume nach. Erst verschwand eine, dann noch eine in den kleinen Häusern zu Seiten des Weges. Carlina ging ebenfalls in eins von ihnen, und nach kurzer Zeit fiel ein schwacher Lichtschein von einer Lampe nach draußen. Paul versteckte sich und dachte nach. Nicht, daß er sich vor den Frauen wirklich gefürchtet hätte. Aber sie waren viele, und sie hatten diese bösartigen kleinen Messer.
    Carlina durfte keine Zeit zu einem Aufschrei bleiben, nicht einmal in Gedanken. Ganz bestimmt befanden sich hier noch andere Telepathinnen. Das bedeutete – so überlegte er kaltblütig –, daß er sie niederschlagen und mit dem ersten Schlag bewußtlos machen mußte, bevor sie ihn erblickte oder der Gedanke an einen Eindringling sie beunruhigte. Und er mußte sie ein gutes Stück von der Insel weggebracht haben, wenn sie sein Gesicht sah.
    Er glitt geräuschlos durch die Tür. Carlina summte vor sich hin und putzte den winzigen Docht der kleinen Lampe. Dann nahm sie ihren schwarzen Mantel ab, hängte ihn an einen Haken und begann, ihren Zopf zu lösen. Paul wartete nicht, bis sie sich auszog. In dieser Kälte konnte er sie ohne Kleider nicht weit bringen, und er wußte, es wurde ihm nicht gelingen, ihren schlaffen Körper wieder anzukleiden. Er trat aus seinem Versteck hervor und schlug einmal hart zu. Carlina brach ohne einen Laut zusammen. So wenig Laran er auch haben mochte, er war doch so wenig daran gewöhnt, daß ihn das plötzliche Nichts , wo vorher eine Gegenwart gewesen war, wie ein Schock traf. Auf einmal bekam er es mit der Angst zu tun. Er beugte sich zu ihr nieder und vergewisserte sich, ob sie atmete. Das tat sie. Er wickelte die bewußtlose Carlina in den schwarzen Mantel und legte den Stoff über ihrem Mund und ihrer Nase in Falten. So bekam sie Luft, aber der Mantel würde einen Schrei ersticken. Allerdings, wenn sie erwachte und Furcht empfand, war die Insel in wenigen Augenblicken alarmiert, und die Jagd ging los. Paul trug sie hinaus und trat die Tür hinter sich zu.

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