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Die Zeit der hundert Königreiche

Die Zeit der hundert Königreiche

Titel: Die Zeit der hundert Königreiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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»Ich weiß, es ist nicht deine Schuld, Schwester Liriel. Böses geht in der Welt um nach dem Willen der Götter, aber die Mutter wird uns beschützen.«
    Das hoffe ich , dachte Carlina. Das hoffe ich sehr .
    Aber es kam ihr vor, als rufe Bard aus weiter Ferne ihren Namen, und sie hörte die Drohung, die er ausgesprochen hatte.
    Wohin du auch gehst, wo du dich auch vor mir zu verstecken suchst, Carlina, ich werde dich haben, ob du willst oder nicht .
     
    »Carlina«, wiederholte Bard, »meine Frau. Und ich kann die Insel des Schweigens nicht erreichen. Aber du kannst es, du bist immun gegen Illusionen, falls du sie nicht durch den Geist eines Menschen empfängst, dessen Gedanken du lesen kannst. Du wirst es schaffen, auf die Insel des Schweigens zu gelangen und mir Carlina zurückzuholen. Mach bloß keinen Fehler«, warnte er. »Ich weiß, daß wir die gleichen Frauen begehren, und ich habe dir Melisandra überlassen. Doch ich schwöre dir, wenn du Carlina auch nur mit einer Fingerspitze berührst, werde ich dich töten. Carlina gehört mir, und wo sie sich auch verstecken mag, ich werde sie haben!«
    Und jetzt blickte Paul über das ruhige Wasser des Sees des Schweigens hin. In den Binsen versteckt, hatte er das Fährboot beobachtet. Es konnte von beiden Seiten aus an einem Seil herübergezogen werden, obwohl man, wenn es beladen war, mit Rudern nachhelfen mußte. Eine Möglichkeit war, die alte Fährfrau zu töten, aber Paul hatte bemerkt, daß jeden Morgen und jeden Abend zwei Frauen herübergerudert kamen, um ihr Essen und einen Krug Wein zu bringen. Und die Abwesenheit der Alten mochte ihnen auffallen. Nach vielem Nachdenken schlich Paul sich, als sie die Priesterinnen zurückruderte, in ihre Hütte und würzte den Wein mit starkem, farblosem Alkohol. Das würde sie so betrunken machen, daß sie nicht mehr merkte, was vor sich ging, und wenn die Priesterinnen sie betrunken fanden, konnte sie ihnen nichts anderes sagen, als daß sie ihre übliche Weinration getrunken habe, die aus irgendeinem Grund stärker gewirkt habe als sonst. Bis die Frauen auf den Verdacht kamen, sie sei betäubt worden, würde es zu spät sein, noch etwas zu unternehmen. Doch wenn sie die Alte tot oder auch nur bewußtlos oder gefesselt und geknebelt vorfanden, mußte ihr erster Gedanke sein, daß sich ein Eindringling auf der Insel befand.
    Deshalb wartete Paul, bis die Alte zurückkehrte. Sie setzte sich vor ihr Hüttchen, aß herzhaft von dem Brot und dem Obst, das die Priesterinnen zurückgelassen hatten, und spülte die Bissen mit durstigen Zügen hinunter. Wie Paul vorausgesehen hatte, wurde ihr schnell schwindelig. Sie taumelte hinein, um sich niederzulegen. Bald schnarchte sie in trunkener Bewußtlosigkeit. Paul nickte vor sich hin. Selbst wenn die Priesterinnen mit ihren Psi-Kräften spürten, daß die Fährfrau sinnlos betrunken war, würde sie das nicht beunruhigen. Schließlich war sie eine alte Frau, von der man nicht erwarten konnte, daß sie den Wein vertrug wie eine junge.
    Paul stieg in das Boot und ruderte lautlos über den See. Die unheimliche Stille des Wassers und die dunklen Binsen beeindruckten ihn. Bard hatte ihm – kurz – von dem Zauber erzählt, der auf dem Boot lag. Paul fand den See deprimierend, und ein- oder zweimal wurde ihm schwindelig, und er hatte das seltsame Gefühl, in der falschen Richtung zu rudern. Aber er blickte zum Ufer und zu der niedrigen Küstenlinie der Insel hin und ruderte weiter. Bards Gedanken hatten ihm die Schrecken gezeigt, die den ersten Versuch vereitelt hatten. Nicht einmal für Carlina hatte Bard sie noch einmal erleben wollen, und auf gar keinen Fall würde er jemals die Insel betreten, wo jeder Mann, so hieß es, sterben mußte. In Paul wuchs ein Gefühl drohenden Unheils, aber er war davor gewarnt worden, und so flößte es ihm keine übermäßige Furcht ein. Wäre er ein Mann dieser Welt gewesen, verwundbar für Zauber und Illusionen, hätten ihm jetzt wohl vor Angst die Zähne geklappert. Wenn er an das dachte, was er in Bards und Melisandras Gedanken gelesen hatte, war Paul froh über seine eigene Immunität.
    Das Boot scharrte über den Strand der Insel, auf den, so war es Paul berichtet worden, seit ungezählten Generationen kein Mann mehr den Fuß gesetzt hatte. Paul empfand keine Spur von ehrfürchtigem Schauder – was bedeuteten ihm die hiesigen religiösen Tabus? Er persönlich hatte Religion immer für etwas gehalten, das die Pfaffen erfunden hatten, um andere

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