Die Zeit der hundert Königreiche
nur der Bewahrer von Neskaya. Ich tue, was ich kann, das ist alles, und ich bin mir immer ganz genau der Fehler bewußt, die ich mache und gemacht habe, und sogar derer, die ich machen werde . Ich muß einfach mein Bestes tun, und …« plötzlich wurde seine Stimme hart – »… in Anbetracht deiner Erfahrungen, Bard mac Fianna, ist das etwas, was du lernen mußt, und zwar schnell: dein Bestes zu tun, wo es möglich ist, und mit den Fehlern zu leben, die zu machen du nicht umhinkannst. Andernfalls wird es dir ergehen wie dem Esel, der zwischen zwei Heuballen verhungerte, weil er sich nicht entscheiden konnte, welchen er zuerst fressen sollte.«
War das der Grund, fragte sich Bard, warum Melora ihn zu Varzil geschickt hatte?
»Zum Teil«, erklärte Varzil, diesen Gedanken aufgreifend, »aber du hast den Befehl über die Armee von Asturias, und eine deiner Aufgaben ist es, dies ganze Land zu vereinigen. Deshalb mußt du zurückgehen.«
Das war das letzte, was Bard von ihm zu hören erwartet hatte.
»Ich werde Melora mit dir schicken«, sagte Varzil. »Sie mag in ihrer Heimat gebraucht werden. Asturias ist das Gebiet, in dem die für unsere Welt wichtigen Ereignisse stattfinden. Aber bevor du gehst, will ich dir noch einmal die Frage stellen, die du schon bei unserm ersten Zusammentreffen in Asturias von mir gehört hast: Willst du dem Vertrag beitreten?«
Bards erster Impuls war zu antworten: Ja, ich will. Dann senkte er den Kopf. »Ich würde es gern tun, Tenerézu . Aber ich bin Soldat und empfange Befehle. Ich habe kein Recht, ohne den Befehl meines Königs und seines Regenten diese Verpflichtung einzugehen. Komme es, wie es wolle, ich habe geschworen, ihnen zu gehorchen, und ich brauche ihre Erlaubnis. Handelte ich anders, wäre es unehrenhaft. Wer seinen ersten Eid bricht, wird auch seinen zweiten brechen.« Er schämte sich in der Erinnerung daran, wie er Carlina mit diesem Sprichwort verhöhnt hatte, aber das entband ihn in diesem Augenblick nicht von seiner Pflicht.
Ich habe alles andere zerbrochen und niedergetrampelt. Aber meine Ehre als Soldat und meine Loyalität gegenüber meinem Vater und meinem Bruder – sie allein sind noch unbefleckt. Ich muß versuchen, sie so zu erhalten .
Varzil sah ihn unverwandt an. Einen Augenblick später streckte er seine Hand aus und berührte ganz leicht Bards Handgelenk. »Wenn deine Ehre es verlangt, sei es so. Ich bin auch deines Gewissens Hüter nicht. Dann muß ich mit dir nach Asturias reisen, Bard. Warte, bis ich mit meinen Stellvertretern gesprochen und entschieden habe, wem ich mein Amt hier übertragen soll.«
7
Carlina erwachte aus unruhigem Schlaf, und jeder Nerv und jeder Muskel ihres Körpers tat ihr weh. Im Eingang ihres Zimmers stand eine Frau. Carlina erschrak und zog den schwarzen Mantel um sich. Dann erinnerte sie sich zitternd, daß sie kein Recht auf ihn hatte. Jetzt nicht mehr. Sie hätte ihn fallen gelassen, aber ihr fiel ein, daß sie immer noch halb nackt war. Sie trug nichts als das zerrissene, blutbefleckte Hemd, das einzige Kleidungsstück, das Bard ihr gelassen hatte. Sie fühlte sich benommen und zerschlagen. Und jetzt erkannte sie die Frau. Sie hatte rundliche Formen und trug ein hübsches grünes Kleid, mit Pelz besetzt. Das war Bards Konkubine, die Haushalts- Leronis von Lady Jerana, und sie hatte ihm vor Jahren einen Sohn geboren. Sie wußte nicht mehr von ihr, als daß ihr Name Melisandra war, und in Bards Gedanken und Erinnerungen hatte sie irgend etwas Nebelhaftes über sie gesehen … . Carlina erinnerte sich nicht an Einzelheiten, war sich jedoch sicher, daß sie Übelkeit erregten. Versteckt unter ihrem schwarzen Mantel glaubte sie, es nicht ertragen zu können, wenn diese ruhige, selbstbewußte Frau ihre Schande sah.
» Vai domna «, sagte Melisandra und trat ein, »Ihr werdet nicht wollen, daß Eure Dienerinnen Euch so sehen; ich bitte Euch, laßt mich Euch helfen.« Sie setzte sich zu ihr auf die Bettkante und berührte sanft die sich dunkel färbende Verletzung auf Carlinas Wange. »Glaubt mir, ich weiß, was Ihr empfindet. Ich war eine Leronis und hatte des Gesichts wegen Jungfräulichkeit gelobt, und es gelang mir nicht einmal, mich vor einem Glanz zu hüten. In gewisser Weise war die Schande für mich größer als für Euch, denn ich wurde nicht geschlagen, bis ich mich ergab; ich gab meine Jungfräulichkeit ohne Kampf auf. Und ich sehe, daß Ihr Euch mit aller Kraft verteidigt habt, wozu ich nicht den Willen
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