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Die Zeit der hundert Königreiche

Die Zeit der hundert Königreiche

Titel: Die Zeit der hundert Königreiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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aufbrachte. Ich habe die Male Eurer Nägel in seinem Gesicht gesehen.«
    Carlina begann von neuem hilflos zu weinen. Melisandra zog die andere Frau an ihre Brust und drückte sie an sich.
    »Nun, nun, weint nur, wenn Ihr wollt …«, murmelte sie und wiegte Carlina hin und her. »Arme kleine Lady, ich weiß, ich weiß, glaubt mir. Ich bin auch so erwacht, und es war niemand da, mich zu trösten, meine Schwester war weit fort im Turm, und auf mich wartete der Zorn meiner Lady. Nun, nun …«
    Als Carlina sich ausgeweint hatte, bereitete Melisandra ihr ein Bad, setzte sie in eine Wanne mit warmem Wasser und zog ihr das zerfetzte Hemd aus. »Das lasse ich verbrennen«, sagte sie. »Bestimmt werdet Ihr es nicht wieder tragen wollen.« Mit dem Hemd trug sie auch die Kleider hinaus, die Bard Carlina abgerissen hatte. Sie wusch Carlina, als sei sie ein kleines Kind, und bestrich ihre Verletzungen mit lindernder Salbe. Dann zog sie sie wie eine Puppe an und schickte nach einer der Kammerfrauen in der Suite.
    »Bring meiner Lady etwas zu essen«, bat sie, und als das Essen kam, setzte sie sich zu Carlina und redete ihr zu, Löffel für Löffel etwas Suppe und Eierrahm zu sich zu nehmen. Carlina fiel es mit ihrem verletzten Kiefer schwer zu essen, aber Melisandra versicherte ihr, der Knochen sei nicht gebrochen.
    Als die Dienerinnen das Geschirr abgeräumt hatten, sah Carlina zitternd zu Melisandra auf. »Es muß ihnen doch eigenartig vorkommen … sie werden alle von meiner Schande wissen … und daß Ihr hier seid …«
    Melisandra lächelte ihr zu. »Bestimmt nicht. Es ist nichts Neues, daß eine Barragana die gesetzmäßige Gattin bedient. Und, meine Lady, um die Wahrheit zu sagen, ich bin überzeugt davon, in diesem Land, wo so viele Frauen gegen ihren Willen verheiratet werden, seid Ihr nicht die erste Edelfrau, die ins Brautbett wie zu einer Vergewaltigung geht.«
    Carlina antwortete mit bitterem Lächeln: »Ja, so ist es. Ich hatte es beinahe vergessen. Vermutlich hat das mich zu Bards gesetzmäßiger Frau gemacht, und ich brauche jetzt nur noch darauf zu warten daß mir die Catenas um die Handgelenke geschlossen werden, als sei ich eine Trockenstädter Hure! Wo ist Bard?«
    »Er ist heute morgen fortgeritten … ich weiß nicht, wohin. Aber er sah aus, als sei ihm die rächende Avarra begegnet«, antwortete Melisandra leise. »Ich weiß nicht, was daraus entstehen wird. Vielleicht zwingt ihn die politische Situation, Euch als Ehefrau zu behalten. Von diesen Dingen verstehe ich nichts. Aber ich bin sicher, ganz sicher, daß er Euch niemals wieder Gewalt antun wird. Ich bin eine Leronis , und ich habe etwas von dem erkannt, was in ihm geschehen ist. Ich glaube nicht, daß er jemals wieder eine Frau mißhandeln wird.«
    »Aber es ist möglich, daß ich als seine Frau hierbleiben muß«, sagte Carlina. »Dann werdet Ihr nur Barragana sein. Wenn Ihr das in Betracht zieht, wie könnt Ihr mir dann eine solche Freundin sein?«
    »Ich bin niemals mehr gewesen als eine Barragana , meine Lady. Bards Vater wäre gern bereit gewesen, uns zu verheiraten, aber Bard gibt nichts um mich. Ich war für ihn nur eine Zerstreuung, als er zornig war und mit der ganzen Welt haderte. Wenn ich nicht seinen Sohn geboren hätte, wäre ich hinausgeworfen worden …«
    »Ja … dann«, hauchte Carlina, »dann bist auch du ein Opfer …« Impulsiv umarmte und küßte sie die Ältere. Sie sagte scheu: »Unter dem Eid der Priesterinnen Avarras bin ich …« – sie zitierte »… Mutter und Schwester und Tochter jeder anderen Frau …«
    »… und unter ihrem Mantel bist du meine Schwester«, ergänzte Melisandra leise. Carlina sah sie verwundert an.
    »Bist du eine von uns?«
    »Ich wäre es gern geworden«, gestand Melisandra, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Aber du kennst ihr Gesetz. Keine Frau darf aus der Welt auf die Heilige Insel fliehen, solange sie ein Kind hat, das noch zu klein ist, um in Pflege gegeben zu werden, oder betagte Eltern, die ihre Fürsorge brauchen. Sie wollten mich nicht haben, weil diese Verantwortung auf mir ruht. Meine Schwester ist Leronis in Neskaya, und ich bin die einzige verbliebene Stütze für meinen alten Vater, und Erlend ist erst sechs Jahre alt. Deshalb wollten sie mein Gelübde nicht annehmen. Und außerdem – ein Laranzu sagte mir einmal, ich hätte in der Welt eine Aufgabe zu erfüllen, obwohl er mir nicht sagen wollte, wie oder wann. Aber Mutter Ellinen hat mir erlaubt, mich insgeheim als

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