Die Zeit, die Zeit (German Edition)
Knupps Giebel war geschlossen. Aus dem Kamin stieg Rauch.
Und wieder war etwas anders.
In der Küche stand das Fenster noch immer offen. Taler schloss es und schaltete die Espressomaschine ein. Er fröstelte in seinem durchgeschwitzten Pyjama.
Er ging zum Stativ im Wohnzimmer und schoss ein Vergleichsfoto.
Später, als er in seinen Wagen stieg, sah er Knupp neben dem Komposthaufen. Er machte sich am Häcksler zu schaffen.
Er stempelte eine Dreiviertelstunde vor dem offiziellen Arbeitsbeginn ein, um seine gestrige Verspätung wiedergutzumachen. Und auch, um ungestört die Fotos zu vergleichen, die er auf einem USB -Stick mitgebracht hatte.
Er brauchte lange, um den kleinen Unterschied zu finden. Das lag daran, dass er ihn in Knupps Garten suchte. Dabei befand er sich diesmal in dem Nachbargarten, der an das Gemüsebeet angrenzte. Dort hatte ein Buchs gestanden, jetzt war er weg.
Peter öffnete Lauras Foto und fand bestätigt, was er vermutet hatte: Der Buchs fehlte. War Knupp die Gestalt im Garten gewesen, die die Scheinwerfer des Wagens kurz beleuchtet hatten? War er damit beschäftigt gewesen, im Nachbargarten den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen?
Es klopfte, und gleichzeitig wurde die Tür geöffnet. Kübler platzte mit den Rechnungen herein, die in der Morgenpost gewesen waren. Noch ehe Taler das Foto auf dem Bildschirm verschwinden lassen konnte, legte er das Bündel auf den Schreibtisch und sah ungeniert auf den Monitor.
»Für den Diaabend?«
Taler fiel keine Antwort ein, bevor der grinsende Kübler mit einem fröhlichen »Schön’s Tägli« den Raum verließ.
Peter wandte sich wieder den beiden Bildern zu. Kein Zweifel, der Buchs war in dem Jahr nach Lauras Tod gepflanzt worden. Er war noch klein und auch für den etwas behinderten Knupp einfach zu entfernen gewesen. Jetzt war ihm auch klar, was dieser so früh am Morgen gehäckselt hatte.
Er begann die neuen Rechnungen abzustempeln. Früher empfand er diese Tätigkeit als demütigend. Immerhin besaß er den Fachausweis des Finanz- und Rechnungswesens. In anderen Firmen erhielt der Mitarbeiter, der für die Buchungen zuständig war, die Belege bereits vorgestempelt und musste nur noch die Rubriken ausfüllen. Und in der Regel war dieser ein Hilfsbuchhalter. Ein Fachausweisinhaber war, wenn überhaupt, nur für die Visierung der Buchungen zuständig.
Aber Feldau & Co. hatte die letzte Bauflaute zum Vorwand genommen, die Finanzabteilung abzubauen. Das hatte unter anderem dazu geführt, dass Höherqualifizierte auch gewisse niedrigere Aufgaben übernehmen mussten.
Seit der Katastrophe war ihm das egal. Er besaß keinen beruflichen Ehrgeiz mehr. Viel hatte er auch davor nicht besessen, jedenfalls nicht in diesem Beruf, den er nur aus Protest gelernt hatte. In seinem wahren Beruf hatte er schon Ehrgeiz. Aber leider keinen Erfolg.
Peter Taler wäre gerne Schauspieler geworden. Schon als kleiner Junge war das sein Traum gewesen. Aber seine Eltern, beides Akademiker, hatten für diesen Berufswunsch wenig Verständnis, dafür umso mehr Ironie übriggehabt. Um sie zu strafen, hatte er dafür gesorgt, dass er nicht aufs Gymnasium kam, und nach der Sekundarschule eine kaufmännische Lehre und anschließend eine berufsbegleitende Ausbildung zum Buchhalter absolviert. Buchhalter! Das Gegenteil von dem, was er sein wollte.
Sobald er volljährig war, bewarb er sich an mehreren Schauspielschulen und wurde von allen abgelehnt. Schließlich nahm er Privatunterricht bei Brigitte von Feldbach, einer alten Schauspielerin, die sich mit Sprechunterricht für Manager und Politiker und abgelehnte Schauspielschüler über Wasser hielt.
Er wurde oft zu Castings eingeladen, denn er besaß eine gewisse Ähnlichkeit mit Henry Fonda, und er versuchte auch, seinen schlaksigen Gang nachzuahmen. Aber zu mehr als ein paar Statistenrollen in Provinztheatern, Fernsehproduktionen und Werbespots hatte es nie gereicht. Doch selbst als er von Brigitte von Feldbach während eines Rückfalls in ihre Alkoholkrankheit bescheinigt bekam, er besitze »absolut kein Scheißtalent«, hatte er weitergemacht. Erst als er sich in Laura verliebte und diese ihm gestand, ihr sei ein guter Buchhalter lieber als ein schlechter Schauspieler, gab er seinen Traum auf. Er pflegte seine Ähnlichkeit mit Henry Fonda weiterhin, konzentrierte sich aber sonst auf seinen Protestberuf. Hatte sogar ein klein wenig Spaß daran und war kurz vor seinem ersten größeren Karriereschritt, als die Welt
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