Die Zeit, die Zeit (German Edition)
zusammenbrach.
Taler hatte nun alle Belege gestempelt und begann, sie einzubuchen. Es war eine Arbeit, die es ihm erlaubte, seine Gedanken schweifen zu lassen. Bald war er bei seinem Nachbarn Knupp und der Frage, wie er auf die Zusendung der Fotos reagieren sollte.
5
Die Türklinke ließ sich nicht runterdrücken. Peter Taler musste über die Gartentür greifen und sie von innen öffnen. Er wusste, dass ihn der Alte beobachtete, aber er sah nicht zu den Fenstern, er ging zielstrebig auf die Haustür zu.
A. u. M. Knupp-Widler stand auf dem Schild unter der Klingel. Er drückte auf den Knopf und erschrak über das schrille Klingeln.
Nichts geschah.
In dem kleinen bernsteingelben Fensterchen, das auf Augenhöhe in die Haustür eingelassen war, hing ein Bastherz. Eine unerwartete Begrüßung für die Besucher dieses mürrischen, feindseligen Mannes.
Taler klingelte wieder. Nichts.
Neben der Tür war ein eiserner Fußabstreifer montiert. Jemand hatte damit die Erdklumpen von den Sohlen entfernt.
Gerade als er ein drittes Mal klingeln wollte, ging die Tür auf. Knupp stand ihm gegenüber.
Taler hatte ihn zwar schon oft durch den Feldstecher gesehen, aber er war ihm noch nie so nahe gekommen. Er sah viel jünger aus, als seine Haltung und sein Humpeln es aus der Distanz vermuten ließen.
Sein Gesicht war eigenartig starr und seine Haut ungewöhnlich glatt für einen Zweiundachtzigjährigen. Das Haar war tiefschwarz, und er trug offensichtlich ein Haarteil. Das Auffälligste war sein Bart. Er betonte als feine Linie den noch erstaunlich kantigen Kiefer und verband sich mit einem dünnen Oberlippenbart. Er war schwarzgefärbt und umgeben von nachwachsenden weißen Stoppeln.
Die etwas operettenhafte Aufmachung passte nicht zur übrigen Erscheinung des Mannes.
Unter den ebenfalls gefärbten Augenbrauen musterten ihn die leicht zusammengekniffenen Augen.
Knupp hatte noch kein Wort gesagt. Jetzt trat er beiseite und ließ ihn herein.
Taler deutete auf die Fotos, die er in der Hand hielt. Knupp nickte und winkte ihn herein.
Der Korridor war mit einem abgetretenen olivgrünen Spannteppich ausgelegt. An einer schmiedeeisernen Garderobe hing die ausgebeulte Tweedjacke, die Knupp meistens trug, und ein lila Damenmantel. Im Schirmständer, der ebenfalls aus Schmiedeeisen und passend zur Garderobe war, standen ein Damen- und ein Herrenschirm. Neben der Garderobe hing ein Spiegel und diesem gegenüber ein gerahmtes Poster, das den Kilimandscharo zeigte.
Es duftete nach Kaffee.
Knupp führte ihn ins Wohnzimmer und deutete auf einen Stuhl am Esstisch. Taler setzte sich, und Knupp nahm ihm gegenüber Platz.
Über die ganze Länge der hochglänzenden Tischplatte verlief ein geklöppelter Tischläufer. Knupp hatte die Hände übereinandergelegt, als wollte er mit der einen das Zittern der anderen verhindern.
Taler legte die Fotos auf den Tisch und fächerte sie auf wie Spielkarten.
»Weshalb beobachten Sie mich?«
»Weil Sie mich beobachten. Und Sie?«
»Aus dem gleichen Grund.«
Knupp schüttelte den Kopf. »Sie beobachten mich, weil Sie glauben, ich hätte etwas mit dem Tod Ihrer Frau zu tun.«
»Haben Sie?«
Wieder schüttelte Knupp den Kopf.
»Aber Sie wissen etwas darüber.« Taler ließ es wie eine Feststellung klingen. Er zog Lauras letztes Foto aus der Brusttasche, faltete es auf und schob es zu Knupp hinüber. »Wissen Sie etwas über dieses Moped?«
Knupp beugte sich über die Stelle, die Taler ihm zeigte. »Nein«, murmelte er.
»Als sie das Foto machte, standen Sie an diesem Fenster.« Er deutete auf das halboffene Giebelfenster.
Der alte Mann ging nicht darauf ein. Er stand auf. »Ich habe Kaffee gemacht. Ach nein, Sie trinken ja um diese Zeit lieber Bier.«
Während er draußen war, sah sich Peter die Fotos genauer an. Tatsächlich, auf einem davon sah die Gestalt im Fenster aus, als trinke sie aus einer Flasche.
An der Wand in Tischnähe stand eine Anrichte. Ihre Ablagefläche war mit der gleichen auf Hochglanz polierten Platte belegt wie der Tisch. Auch sie trug einen geklöppelten Tischläufer. Darauf stand eine Früchteschale mit ein paar Äpfeln und Bananen, flankiert von zwei Ständern mit unbenutzten Kerzen. An der Wand dahinter, zu beiden Seiten einer gemächlich tickenden Pendeluhr, ein paar gerahmte Fotos, die meisten schwarzweiß und mit einem gewissen fotografischen Anspruch aufgenommen. Bis auf zwei zeigten sie die gleiche Frau in verschiedenen Lebensphasen. Sie hatte ein breites
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