Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
sozusagen. Ich musste grinsen und ließ den Bleistift erneut zwischen meinen Fingern kreisen. Weitaus interessanter als dieser lächerliche letzte Versuch, mich aus der Reserve zu locken, war der züchtig um den Hals gewundene rote Seidenschal, der wie ein Tulpenkelch in ihrem Dekollete endete. Anstatt meine Aufmerksamkeit durch diese Verkleidung auf ihre bemüht bohrenden Augen und Fragen zu lenken, erreichte sie genau das Gegenteil. Ich fragte mich die ganzen geschlagenen fünfundvierzig Minuten, die diese Befragung über meinen Antrag auf vorübergehende Freistellung aus dem Staatsdienst nun schon dauerte, wohin dieser Kelch mich wohl führen wollte.
»Kommissar Kilian«, fragte sie eindringlich, »haben Sie mich verstanden? Ist Ihnen bewusst, welche Tragweite das Ergebnis dieser Befragung für Sie und Ihre weitere Laufbahn haben wird?«
»Davon gehe ich aus, Frau Doktor«, erlöste ich sie nach einer angemessenen und gut überlegten Pause, die ihr meine Aufmerksamkeit und die Ernsthaftigkeit ihres Unterfangens dokumentieren sollten. Ich war mir meiner Sache sicher und ließ dieses hoffentlich letzte Gespräch über mich ergehen, das den entscheidenden Aufschluss über meine psychische Verfassung und Belastbarkeit geben sollte. Burn-out-Syndrom hatte ich als Grund zur Freistellung auf dem Formular angegeben.
Ich musste weg, schnell und weit. Nur war die Sache nicht so einfach. Schröder, mein Mentor beim bayerischen LKA, war meine letzte Verbindung nach München gewesen. Nach seinem Abgang in die Hölle – möge er dort schmoren bis zum Jüngsten Tag – war ein neuer Mann von außerhalb nachgerückt und hatte gründlich aufgeräumt. Jeder, der mit Schröder, diesem korrupten Verräter, und der Jagd nach den Rosenholz-Dateien zu tun gehabt hatte, war vorsorglich in die Walachei versetzt worden oder sah sich dem Misstrauen des »Inneren Kreises«, wie er genannt wurde, gegenüber. Auslandseinsätze, gleich in welcher Form, waren fortan diesem erlauchten Kreis vorbehalten. In meinem Fall war die Sache einfach: Ich wurde offiziell in die Polizeidirektion Würzburg eingegliedert. Adieu, LKA. Das kam einer Strafaktion gleich, zumal ich den Sklaventreiber Oberhammer vor mir hatte.
Selbst Susanne Straßer, meine letzte Hoffnung bei der Staatsanwaltschaft München, war dahin. Auch sie musste vor der Inquisition nach Schröders Enttarnung in Deckung gehen. Ich war ausgekontert und schachmatt. Dem Apparat ausgeliefert und unfähig, aus eigener Kraft an meinem Schicksal etwas zu ändern.
Bis auf die Freistellung, das Sabbatjahr, meine letzte Karte, die ich spielen konnte. Und selbst darum musste ich jetzt kämpfen, damit diese Psychologin ihre Unterschrift unter den Schrieb setzte und ich meine Ruhe hatte. Ein Jahr lang, auf eigenen Wunsch … und ohne Bezahlung. Ich hatte von diesem Affentheater die Nase voll und wollte der Sache nun schnell ein Ende bereiten.
»Frau Doktor«, begann ich, »oder darf ich Luzia sagen?«
»Nein, das dürfen Sie nicht, Herr Kilian.«
»Nun gut, Frau Doktor Brühne-Wels …« Mein Gott, was für ein bescheuerter Name, müssen diese Zicken immer Doppelnamen haben? »… lassen Sie es mich so ausdrücken: Welcher Typ ich bin, ob ich an dieses oder jenes glaube, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Ich weiß es schlicht selbst nicht. Wahrscheinlich glaube ich an gar nichts. Verstehen Sie, an rein gar nichts. Ob es ›da oben‹ einen Strippenzieher gibt oder nicht, interessiert mich nicht, solange er mir nicht in die Quere kommt. Ob ich Herr meiner eigenen Gedanken bin, sofern ich überhaupt welche habe, kann ich Ihnen nicht beantworten. Dazu müsste ich mir einbilden, dass ich frei von Konventionen, Zwängen oder, in diesem Fall, frei von Ihrem ärztlichen Wohlwollen bin. Dass dem nicht so ist, das wissen Sie wohl besser als ich. Und zu guter Letzt, hier in diesem Verein kein Opportunist zu sein verbietet der gesunde Menschenverstand. Und weil wir’s gerade davon haben, wie schaut denn das Psychogramm unseres Polizeidirektors Oberhammer aus, nachdem er mit dem lieben Kollegen Schröder den Sicherheitsgipfel Ende Oktober gehörig in Gefahr brachte? Ich wette, das aus München angeforderte Profil liegt passwortgeschützt und in einer anderen Version, nämlich der wahren, auf Ihrem Rechner und ist Ihre letzte Trumpfkarte, wenn die Hütte brennt. Würden Sie das nun charakterlos, gemeingefährlich oder eher verschlagen nennen, Frau Doktor? So, das war’s. Ich hoffe, ich konnte
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