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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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aus Dankbarkeit oder Widerspruch, konnte Meg nicht sagen.
    »Ichh gglaube, ddas istt einn Fehlerr!« ließ sich Frau Dergestalt mißbilligend vernehmen. »Aberr ggesagt isst ggesagt, unnd nnun müssen Ssie wohll dabei bleibenn.«
    »Ich mag es nicht, wenn sie böse wird«, sagte Frau Wasdenn und blickte sich über die Schulter nach Frau Dergestalts Schimmer um. »Das Dumme ist nämlich, daß sie meist recht behält. Aber diesmal kann ich mir wirklich nicht denken, was daran schlecht oder gefährlich sein sollte. Im Gegenteil, es wird euch gewiß guttun. Also, lassen Sie sehen, liebe Mitte!«
    Das Glückliche Medium lächelte, summte leise vor sich hin und drehte dabei die Kristallkugel in seinen Händen. Sterne, Kometen und Planeten huschten über den Himmel. Und dann kam die Erde wieder ins Blickfeld. Immer näher kam sie, vom Schatten verdunkelt, bis die Kugel ganz mit ihr ausgefüllt war. Irgendwie waren sie durch die Finsternis bis zur weißen Wolkendecke vorgedrungen, zwischen der matt die Umrisse der Kontinente hervortraten.
    »Zuerst Calvins Mutter!« flüsterte Meg der Goldenen Mitte zu.
    In der Kristallkugel zog ein Dunstschleier auf und ballte sich immer fester zusammen. Dann zeichneten sich daraus Schatten ab, nahmen Gestalt an – und schließlich blickten sie in eine unordentliche Küche. Im Spülstein türmte sich schmutziges Geschirr. Davor stand eine Frau. In wirren Strähnen hing ihr das graue Haar ins Gesicht. Ihr Mund stand offen; Meg konnte den zahnlosen Kiefer erkennen. Fast meinte sie zu hören, wie die alte Frau die beiden kleinen Kinder anschrie, die neben ihr standen. Dann langte sie einen großen Holzlöffel aus dem Spülbecken und ließ ihn dem einen Kind auf den Rücken sausen.
    »Ach, du meine Güte … !« flüsterte die Goldene Mitte, und gleich begann das Bild in der Kristallkugel zu verschwimmen. »Ich wollte wirklich nicht … «
    »Schon gut!« sagte Calvin leise. »Ihr dürft es ruhig wissen; es stört mich nicht.«
    Statt sich wie sonst schutzsuchend an Calvin zu klammern, faßte Meg ihn jetzt schweigend an der Hand. Sie versuchte, ihn mit dem Druck ihrer Finger mitzuteilen, was sie für ihn empfand. Hätte ihr noch gestern jemand gesagt, sie, die kurzsichtige, die linkische Meg mit den häßlichen Zahnklammern würde die Hand eines Jungen ergreifen, um ihn zu trösten – noch dazu die Hand eines gefeierten Stars wie Calvin! – es wäre ihr unfaßbar erschienen. Aber jetzt war es nur natürlich, daß sie Calvin helfen und schützen wollte; so wie sonst Charles Wallace immer ihr geholfen hatte.
    Wieder wirbelten in der Kristallkugel die Schatten durcheinander. Als sie sich klärten, blickte Meg ins Labor ihrer Mutter. Frau Murry saß auf einem hohen Schemel und kritzelte emsig auf den Block, der auf ihrem Schoß lag. »Sie schreibt an Vater!« dachte Meg. »Wie immer. Wie jeden Abend.«
    Bei diesem Anblick kamen ihr die Tränen. (Wann würde sie endlich lernen, ihre Tränen zurückzuhalten?) Frau Murry blickte kurz von ihrem Brief auf – fast so, als hätte sie die Kinder erkannt —, aber dann ließ sie den Kopf wieder sinken. So blieb sie sitzen, ganz zusammengekrümmt, ganz ihrer Trostlosigkeit ergeben, die sie vor den Kindern immer verborgen hatte.
    Plötzlich hatte Meg nicht länger das Bedürfnis zu weinen. Sie empfand dasselbe starke Gefühl, das sie erfaßt hatte, als Calvin einen Blick auf sein Zuhause werfen durfte: einen – einen heiligen Zorn.
    »Kommt!« rief sie wütend. »Gehen wir! Unternehmen wir doch endlich etwas!«
    »Und wieder hat sie recht behalten!« murmelte Frau Wasdenn kopfschüttelnd und warf einen Seitenblick zu Frau Dergestalts Schimmer hinüber. »Warum sagt sie nicht einfach: ›Keine Widerrede!‹ und es bleibt dabei?«
    »Ich habe es doch nur gut gemeint … «, murmelte die Mitte bekümmert.
    »Ach, meine Beste, mach dir bloß keine Vorwürfe!« rief Frau Wasdenn eilfertig. »Schau dir lieber schnell etwas besonders Erheiterndes an! Ich würde mir nie verzeihen, dich traurig gemacht zu haben.«
    »Es ist schon wieder gut!« versicherte auch Meg. »Wirklich, liebe Frau Mitte! Und vielen Dank!«
    »Ganz bestimmt?« fragte die Goldene Mitte.
    »Ganz bestimmt! Sie haben mir sogar sehr geholfen, denn was ich gesehen habe, hat mich wieder so richtig zornig gemacht. Und wenn ich zornig bin, vergesse ich ganz, mich zu fürchten.«
    »Na, dann gib mir zum Abschied einen Kuß«, sagte die Goldene Mitte. »Und laß dir viel Glück wünschen.«
    Meg ging

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