Die Zeitfalte
seufzte und hielt ihnen die Kristallkugel entgegen.
»Schaut hinein, Kinder!« forderte Frau Wasdenn sie auf. »Und schaut genau hin!«
»›Que la terre est petite à qui la voit des cieux!‹« deklamierte Frau Diedas mit ihrer melodischen Stimme. »Französisch. Delille. ›Wie klein ist die Erde für den, der sie aus den Himmeln betrachtet!‹«
Meg starrte auf die Kristallkugel, erst mißtrauisch, dann aber mit wachsender Neugier.
Die Kugel zeigte zunächst einen ungeheuren leeren und dunklen Raum, durch den aber bald ganze Galaxien zogen. Zuletzt schienen sie sich einer von ihnen zu nähern.
»Eure eigene Milchstraße!« flüsterte Frau Wasdenn Meg zu.
Sie steuerten erst direkt auf das Zentrum der Milchstraße zu und schwenkten dann etwas zur Seite; Sternscharen flogen ihnen entgegen. Meg hob schützend die Hände vor das Gesicht, als müsse sie den Anprall abwehren.
»Sschau hinn!« befahl Frau Dergestalts Stimme.
Meg ließ den Arm sinken. Sie schienen sich auf einen Planeten zuzubewegen. Meg meinte, Polkappen erkennen zu können. Das Bild war leuchtend hell.
»Nein, meine Liebe!« korrigierte Frau Wasdenn mit leisem Tadel. »Das ist der Mars.«
»Muß ich denn wirklich … ?« klagte die Goldene Mitte.
»Auff derr Stelle!« befahl Frau Dergestalts Stimme.
Der hellglänzende Planet entschwand aus ihrem Gesichtsfeld. Vorübergehend gab es in der Kugel wieder nur die Finsternis des Raums zu sehen, aber dann tauchte ein anderer Planet auf. Seine Umrisse waren weniger klar, als sei er von einer Dunsthülle umgeben. Aus dem Dunst leuchteten die vertrauten Konturen der Kontinente, wie Meg sie aus ihrem Atlas kannte.
»Hindert uns die Lufthülle der Erde daran, alles deutlich zu erkennen?« fragte sie gespannt.
»Nnein, Megg«, sagte Frau Dergestalt. »Ddu weißtt sselbst, ddaß ddas nichtt an dder Llufthülle liegtt. Ddu mußtt jetztt ssehr tapferr ssein!«
»Es ist das Ding!« rief Charles Wallace. »Es ist das Schwarze Ding, das wir vom Berggipfel aus gesehen haben, als wir auf Uriel auf dem Rücken von Frau Wasdenn saßen!«
»Ist es jetzt erst gekommen?« fragte Meg gequält. Sie konnte den Blick nicht von dem Schatten abwenden, der etwas Böses ausstrahlte und die Schönheit der Erde verdunkelte. »Ist es gekommen, während wir fort waren?«
Frau Dergestalts Stimme klang müde und traurig. »Ssag ess ihrr!« forderte sie Frau Wasdenn auf.
Frau Wasdenn seufzte. »Nein, Meg«, sagte sie. »Es ist nicht erst jetzt gekommen. Es ist schon seit vielen, vielen Jahren da. Deshalb wird euer Planet von all den Plagen heimgesucht.«
»Aber warum?« fragte Calvin; seine Stimme krächzte heiser.
Mit einer Handbewegung brachte Frau Wasdenn ihn zum Schweigen. »Wir haben euch das Schwarze Ding zuerst von Uriel aus gezeigt, weil … ach, aus so vielen Gründen. Vor allem, weil dort auf den Gipfeln die Luft so rein und dünn ist, daß ihr es in seiner vollen Größe erfassen könnt. Und auch, weil wir dachten, ihr würdet es besser begreifen, wenn ihr es zuerst – nun: woanders seht, nicht auf eurer eigenen Erde.«
»Ich hasse es!« rief Charles Wallace leidenschaftlich. »Ich hasse das Schwarze Ding!«
Frau Wasdenn nickte. »Ja, Charles, mein Schatz. Wir alle hassen es. Das ist ein weiterer Grund, warum wir euch auf Uriel darauf vorbereiten wollten. Ihr wäret zu sehr erschrocken, hättet ihr es von Anfang an auf eurer eigenen geliebten Erde gesehen.«
»Aber was ist es?« wollte Calvin wissen. »Wir sehen, daß es böse ist. Aber: was ist es?«
»Ddu hastt ess sselbst gesagtt«, hallte Frau Dergestalts Stimme von den Wänden der Höhle. »Ess istt DDAS BÖSE. Ess istt die Macht dder Finsttemis.«
»Und was wird sie erreichen?« fragte Meg zitternd. »Bitte, sagen Sie uns, Frau Dergestalt, was geschehen wird!«
»Wwir wwerden gegenn ddas Böse kämpfenn!«
Die Kraft dieser Worte bewirkte, daß auch die drei Kinder sich aufrichteten und entschlossen dem Schimmer zunickten, hinter dem sich Frau Dergestalt verbarg.
»Und ihr sollt wissen, Kinder, daß wir in unserem Kampf nicht allein sind!« sagte Frau Wasdenn, wie um sie zu beruhigen. »Das ganze Universum, der gesamte Kosmos hat sich gegen das Böse erhoben. Ja, es ist ein schrecklicher und aufwühlender Kampf. Ich weiß, wie schwer es euch fallen muß, die Größenordnungen zu begreifen, in denen sich diese Auseinandersetzung abspielt. Wie solltet ihr auch verstehen, daß die kleinste Mikrobe und das größte Milchstraßensystem sich im innersten
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