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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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zu ihr und drückte ihr schnell einen Kuß auf die Stirn; und Charles Wallace folgte ohne zu zögern ihrem Beispiel.
    Lächelnd blinzelte das Glückliche Medium Calvin zu und sagte: »Von dir, junger Mann, hätte ich auch gern einen Kuß! Rotes Haar habe ich schon immer gemocht. Und der Kuß wird dir Glück bringen, mein süßer Kindskopf!«
    Calvin errötete, neigte sich ihr zu und gab ihr einen ungeschickten Schmatz auf die Wange.
    Die Goldene Mitte zwickte ihn scherzhaft in die Nase. »Du mußt noch viel lernen, mein Junge!«
    »Also dann: lebe wohl, meine Liebe!« sagte Frau Wasdenn, »und vielen, vielen Dank. Ich denke doch, daß wir einander in ein, zwei Zeitaltern wiedersehen werden.«
    »Wohin zieht ihr denn jetzt?« wollte die Mitte wissen. »Vielleicht kann ich mich gelegentlich auf euch einstellen.«
    »Nach Camazotz«, sagte Frau Wasdenn.
    Wo war Camazotz? Oder: was war es? Meg gefiel weder der Klang dieses Namens, noch die Art, in der Frau Wasdenn ihn ausgesprochen hatte.
    »Aber bitte beunruhige dich nicht unseretwegen! Du siehst die dunklen Planeten ja nicht gern, und uns würde es schrecklich belasten, dich unglücklich zu machen.«
    »Ich will aber wissen, was nun mit den Kindern geschieht«, erklärte die Goldene Mitte. »Mein eigentliches Unglück ist ja, daß ich für andere fühle. Wäre es nicht so, bliebe ich immer unbesorgt und glücklich. Hm, nun ja, im großen und ganzen bin ich trotz allem doch recht vergnügt, und ein kleines Schläfchen wird jetzt Wunder wirken. Auf Wiedersehen, all-er-sei … ts … « Und schon ließ sie ein sanftes Schnarchen hören.
    »Kommtt enndlich!« befahl Frau Dergestalt und schimmerte den anderen voran aus der dunklen Höhle in das gestaltlose Grau des Planeten.
    »Unnd nnun, Kinderr«, sagte sie gebieterisch, »dürfft ihr kkeine Anggst habenn vorr dem, wass euch erwarrtet.«
    »Bewahre deinen Zorn, kleine Meg!« flüsterte Frau Wasdenn ihr zu. »Du wirst jetzt deinen ganzen Zorn brauchen können.«
    Ohne jede weitere Warnung wurde Meg wieder ins Nichts geschleudert. Diesmal jedoch war dieses Nichts von einer eisigen Kälte, wie Meg sie noch nie erfahren hatte. Die Kälte erfaßte sie, schoß in sie ein, durchdrang sie völlig und war zugleich erfüllt mit einer unsagbaren Schwärze, die beinahe greifbar wurde: wie ein Ding, das sie bedrohte, das Meg wie ein riesiges, bösartiges Raubtier packen und verschlingen wollte.
    Dann war diese Schwärze plötzlich wieder verschwunden. War es der Schatten gewesen, das Schwarze Ding? Hatten Sie etwa das Schwarze Ding durchstoßen müssen, um zu ihrem Vater gelangen zu können?
    Das nun schon vertraute Prickeln in Händen und Füßen setzte wieder ein; es folgte der Stoß, mit dem sie durch das letzte Hindernis gelangte – und dann stand sie wieder auf eigenen Beinen, atemlos, doch unbeschadet, und Calvin und Charles Wallace waren bei ihr.
    »Sind wir jetzt auf Camazotz?« fragte Charles Wallace, als Frau Wasdenn sich an ihrer Seite materialisiert hatte.
    »Ja«, sagte sie. »Jetzt laßt uns aber erst einmal verschnaufen und Ausschau halten.«
    Sie standen auf einem Hügel, und als Meg sich umblickte, meinte sie, ebensogut auf irgendeinem Hügel auf der Erde sein zu können. Die Bäume waren ihr bekannt: Birken, Kiefern und Ahorn. Hier war es zwar wärmer als daheim im Obstgarten, den sie so überstürzt verlassen hatten, aber auch hier lag bereits etwas Herbstliches in der Luft. In der Nähe standen einige kleinere Bäume, deren Blätter sich bereits rötlich färbten. Waren das Feigen? Und die Blumen – waren es vielleicht Goldruten?
    Am Fuße des Hügels, unten im Tal, lag eine Stadt. Der Anblick schien Meg bekannt und vertraut. Aus den Schornsteinen kräuselten Rauchfähnchen. Hier gab es nichts, das einen ungewöhnlichen, andersartigen oder gar furchterregenden Eindruck gemacht hätte.
    Frau Wasdenn trat auf Meg zu und legte ihr, wie zur Beruhigung, den Arm um die Schultern. »Hier kann ich leider nicht mehr bei euch bleiben«, sagte sie. »Ihr drei Kinder seid von nun an auf euch selbst angewiesen. Wir werden euch zwar nicht verlassen; wir werden euch weiterhin beobachten; ihr werdet uns aber weder sehen noch um Hilfe bitten können. Wir sind nicht länger in der Lage, zu euch zu kommen.«
    »Ist – Vater – hier?« fragte Meg. Ihre Stimme zitterte.
    »Ja.«
    »Wo ist er? Wann werden wir ihm begegnen?« Sie war bereit, auf der Stelle loszurennen, ihrem Vater entgegenzueilen, wo immer er sich auch befinden

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