Die Zeitstraße
zu erwärmen begann. »Da machst du doch bei uns halt, klar?«
»Tut mir leid, alter Junge. Geht leider nicht. Ich hab’s wirklich eilig. Muß heute noch nach New York, dann weiter nach Washington. Wollte nur mal schnell hören, wie’s dir geht. Was macht Nancy? Habt ihr inzwischen schon ein paar Kinder auf die Beine gestellt?«
»Noch nicht.« Glucksendes Lachen. »Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
»Oho! Das hört sich ja so an, als ob …«
»Nein, nein, alles vorerst noch im Stadium der Planung. Ich mache mich dieses Jahr selbständig. Wenn das Geschäft gut anschlägt, wünschen wir uns für Herbst nächsten Jahres ein Baby – wenn’s geht einen Jungen.«
»Das ist schön, Elmer! Sag Nancy einen schönen Gruß. Bei nächster Gelegenheit müssen wir uns mal zusammensetzen und ein Bier trinken, hörst du?«
»Klar. Aber, heh, nicht so schnell! Wie geht’s dir eigentlich? Hab’ dich ganz aus den Augen verloren. Wo steckst du? Was treibst du?«
»Elmer, ich hab’ kein Kleingeld mehr! Die drei Minuten sind bald um. Weißt du was: ich schreibe dir ’nen Brief. Bin unten in Georgia. Nächste Ferien macht ihr dort bei mir, klar? Also noch mal: Sag Nancy einen Gruß und halt’ die Ohren steif. Mach’s gut, mein Junge!«
Paul hängte auf, ohne dem Mann am andern Ende noch eine Chance zum Antworten zu geben. Eine Zeitlang saß er auf der Bettkante und starrte den Telephonapparat an. Der Anruf war ein Teil seines Planes; aber jetzt fragte er sich, ob er klug gehandelt habe. Er hatte die Geschichte der Danburys intensiv erforscht und wußte, daß Elmer S. im Korea-Krieg zusammen mit Roger M. Burrington im selben Infanterie-Zug gewesen war. Elmer und Roger waren Freunde geworden, hatten einander jedoch wenige Jahre nach dem Krieg aus den Augen verloren. Auch Faul hatte nicht ermitteln können, wohin Burrington verschwunden war.
Was aber, wenn Elmer S. jetzt zu forschen begann und durch Zufall oder eifriges Bemühen den Aufenthaltsort Roger Burringtons ermittelte? Was, wenn er ihn anrief und erfuhr, daß es gar nicht Burrington gewesen sein konnte, mit dem er soeben gesprochen hatte? Paul beruhigte sich schließlich mit der Vorstellung, daß Elmer S., selbst wenn er sofort zu Werke ging, einen Erfolg nicht vor Ablauf von ein paar Tagen erzielen würde. Dann aber war es für ihn schon zu spät. In zwei Tagen um diese Zeit war ohnehin schon alles vorbei.
Immerhin hatte er erfahren, was er wissen wollte. Die Geschichte log nicht. Die Ehe zwischen Elmer S. und Nancy Danbury war bislang kinderlos. Der Nachwuchs war erst für den Herbst 1965 geplant. Das stimmte. Im Oktober 1965 kam Pauls Vater zur Welt. Elmer S. Danbury aber war Pauls Großvater.
Paul Danburys Motive waren, wie sein Charakter, eine Mischung von Neugierde und Profitsucht, untermalt mit Skrupellosigkeit. Das Problem der Zeitreise hatte schon früh seine Phantasie erregt, und als sich ihm die erste Möglichkeit bot, seine Neugierde zu befriedigen, da ergriff er sie sogleich beim Schopfe, Betrug und Diebstahl, die dazu nötig waren, nicht scheuend. Man hätte sich fragen können, ob die Neugierde allein für Paul Danbury ein ausreichendes Motiv gewesen wäre, genügend Anlaß, um sich all den Mühen zu unterziehen, die er im Laufe der Vorbereitung seines Vorhabens auf sich nehmen mußte. Oder ob es neben der Neugierde noch der Hoffnung auf materiellen Gewinn bedurfte, um Paul in Gang zu setzen und den Plan einer Zeitreise Wirklichkeit werden zu lassen. Da jedoch Anlaß besteht zu glauben, daß Paul Danbury selbst diese Frage nicht hätte beantworten können, muß sie als immateriell und müßig betrachtet werden.
Auf jeden Fall war die Lage diese: Seit seiner Kindheit ging Paul die Frage nicht aus dem Kopf, was geschehen würde, wenn er in die Zeit zurückreisen und seinen eigenen Vater oder Großvater umbringen könne. Wenn er den Großvater zum Beispiel tötete, bevor dieser seinen Sohn, Pauls Vater, zeugen konnte, dann würde es Pauls Vater niemals geben. Was resultierte daraus für die Existenz des Paul Danbury, den es ja doch nur geben konnte, wenn es auch seinen Vater gab? Später im Leben hatte Paul erfahren, daß man diese Problemstellung ein Zeitparadoxon nannte. Das Fremdwort hatte seine Neugierde nicht gemildert. Er wollte wissen, was geschah, wenn er seinen Großvater umbrachte.
Er hatte keine Ahnung, nicht einmal eine vage Idee von dem, was ihn erwartete, wenn er seinen Plan verwirklichte. Es war ein bezeichnendes Licht
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