Die Zerbrochene Kette - 6
Sehvermögen schädigen. Wenn ich das jetzt nicht behandle…«
»Es ist mir gleichgültig!« Jaelle war sehr aufgeregt. »Ich werde nicht zulassen…«
Rohana befahl streng: »Hör auf damit, Jaelle. Du benimmst dich wie ein furchtsames Kind, das sich den Verband nicht aufschneiden lassen will! Ich hätte dich nicht
für so feige gehalten!«
Alidas Stimme war freundlicher. »Ich weiß , du hattest
Angst vor mir, als du ein Kind warst, Jaelle, aber ich
hoffte, du seiest darüber hinausgewachsen.«
»Ich habe keine Angst.« Jaelle zitterte vor Wut.
»Aber ich will nicht, daß Ihr an meinem Gesicht herumpfuscht! Einmal ist genug für ein ganzes Leben!« Rohana erinnerte sich: Bei diesem einen längeren Besuch Jaelles in Ardais, auf dem Rohana bestanden hatte,
bevor sie Jaelle erlaubte, den Amazonen-Eid abzulegen,
hatte sie Jaelle auf Laran testen lassen. Ein Kind Meloras und dazu mit dem feuerroten Haar, das auf telepathische Fähigkeiten hinwies, mußte eine der Comyn-Gaben besitzen. Jaelle war ängstlich und hilflos trotzig
gewesen, doch in diesem Punkt blieb Rohana hart. Alida
hatte den Test vorgenommen, und Jaelle war leichenblaß und krank davon zurückgekehrt. Es war das einzige
Mal seit ihrer Mutter Tod, daß Rohana sie in Tränen gesehen hatte. Rohana beruhigte und tröstete sie. Alida
berichtete, sobald sie mit Rohana allein war:
»Ja, sie hat Laran. Ich halte sie für eine starke Telepathin. Leider blockiert sie die Fähigkeit aus irgendeinem
Grund. Natürlich könnte ich ihre Verteidigung brechen,
doch ob es mir gelänge, sie später wieder zusammenzusetzen – das ist eine andere Frage. Und da du erlaubt
hast, daß sie unter den Amazonen aufwächst, würde sie
das Leben in einem Turm unerträglich finden. Laß sie
ihren eigenen Weg gehen.«
Rohana hatte es dabei bewenden lassen. Sie hatte das
Gesetz erfüllt, nach dem jedes Kind aus Comyn-Blut –
legitim oder illegitim, und nach dem Gesetz war Jaelle
illegitim – getestet werden mußte. Mehr war nicht notwendig. Rohana war überzeugt, der Schock des Rapports mit ihrer sterbenden Mutter hatte Jaelle gezwungen, ihr eigenes Laran zu verbarrikadieren.
War Jaelles Angst immer noch so akut? Domna Alida nahm Jaelles Angriff gelassen hin. Sie sagte nur: »Du bist krank, Jaelle. Du weißt nicht, was du sprichst. Muß ich dich tatsächlich der unwürdigen Behandlung unterziehen, dir die Hände binden zu lassen?«
Magda schrie beinahe: »Nein, das dürft Ihr nicht!«
»Jaelle«, redete Rohana dem Mädchen zu, »du gehörst doch nicht zu jenen Amazonen, die mit ihren Narben prahlen und sich damit gegenseitig zu übertrumpfen suchen.«
Alida erklärte kühl: »Wenn sie ihr Leben lang wie eine narbenbedeckte Veteranin der Schlacht von Corresanti aussehen will, ist das ihre Sache. Ich denke nur an ihr Sehvermögen.«
Peter hielt immer noch Jaelles Hand. Er führte seine freie Hand an Jaelles Wange und streichelte die glatte Haut unter der roten Wunde. Als sei niemand im Raum außer ihm und Jaelle, sagte er: »Du bist so schön. Es wäre schrecklich, diese Schönheit zu entstellen.«
Jaelle legte ihre andere Hand unbeholfen auf seine, und Magda sah – sie alle sahen es –, daß sie sich nicht länger widersetzen würde.
Das war nicht fair, dachte Magda. Jaelle ist zu verwundbar. Peter hätte das nicht tun dürfen…
Lady Alida bewegte die Hand, und Magda bemerkte den blauen Stein darin – ein Edelstein? Ein blendender Blitz, ein schwindelerregender Glanz… Magda hielt es nicht aus und wandte das Gesicht ab. Die Leronis sagte ruhig: »Du warst zu sehr damit beschäftigt, mich zu beschimpfen, Jaelle, um dir meine Erklärungen anzuhören. Es ist hierbei nicht notwendig, daß ich deinen Geist berühre. Ich muß eine sehr komplizierte Zellrekonstruktion durchführen, deshalb liege still und halte dein Gehirn so leer wie möglich, damit deine Gedanken sich nicht störend einmischen. Du kannst schlafen, wenn du willst, das wäre überhaupt am besten. Schmerz wirst du wahrscheinlich nicht empfinden. Wenn doch, sag es mir sofort, damit deine Schmerzen nicht verwischen, was ich tue.«
Magda hörte hingerissen zu. Hypnose? Sie sollte ihr Gehirn leer halten?
»Rohana, du mußt überwachen«, befahl Alida. »Und warne mich, wenn ich zu nahe an die Nerven oder die kleinen Muskeln im Augenwinkel komme.« Wieder blitzte der blaue Stein in ihrer Hand auf. Magda war es, als drehe sich ihr der Magen um. Alida hob das Gesicht, das konzentriert und maskenhaft war, und richtete die Augen
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