Die Zerbrochene Kette - 6
miteinander verkehren durften. Wenn das geschieht…«
Magda verstand seine Bedenken, doch im Augenblick war ihr etwas anderes wichtiger. Sie erklärte: »Ich kann nicht ohne Jaelles Erlaubnis gehen; vielleicht kann ich überhaupt nicht gehen. Und ganz bestimmt will ich nicht gehen, solange sie krank ist und mich braucht.« Plötzlich fuhr sie ihn an: »Bedeutet dir ein Eid überhaupt nichts?«
»Nicht, wenn er einem Menschen mit Gewalt abgenötigt worden ist«, erwiderte Peter. »Und überhaupt hattest du nicht das Recht, ihn zu leisten. Ich weiß, du bist dazu gezwungen worden, aber trotzdem…«
Es waren ihre eigenen Argumente, und es machte sie noch wütender, als er überredend fortfuhr: »Ich weiß, du hast die Darkovanerin immer mit großer Begeisterung gespielt und bist stolz auf dein Talent dazu. Aber es gibt einen Zeitpunkt, wo du all das vergessen mußt. Deine Loyalität gehört in erster Linie dem Imperium – muß ich dich daran erinnern?«
Er hatte ihre Hände ergriffen; Magda riß sie zurück. »Sagen wir also, ich habe es freiwillig getan! Ich glaube, daß ich dem Imperium auf diese Weise am besten die nen kann. Wenn ich jedoch vor die Wahl gestellt werde…« Sie zitterte am ganzen Körper. Peter meinte versöhnlich: »Mir war nicht klar, daß du so empfindest. Du weißt, ich würde mich niemals in eine Gewissensfrage einmischen, Mag. Doch warum bedeutet dir dieses Mädchen so viel? Es sieht dir gar nicht ähnlich, gegenüber einer anderen Frau eine so – so emotionale Haltung einzunehmen. Das ist nicht ganz…« Er zögerte, es auszusprechen, und Magda, die es erriet, wurde von neuem zornig.
»Denk doch, verdammt noch mal, was du willst! Wenn du das glaubst, wirst du alles glauben!«
»Mag, ich habe nicht gesagt, daß ich glaube…«
»Du bist ein Idiot, Peter«, bemerkte sie angewidert. »Kannst du dir wirklich nicht vorstellen, daß eine Frau sich einer anderen Frau gegenüber aus gewöhnlicher Menschlichkeit und Anständigkeit loyal verhält? Jaelle hat mir das Leben gerettet! Und hast du schon vergessen, daß du, hätte sie ihr Leben nicht riskiert, indem sie mit einer unverheilten Wunde den Scaravel-Paß überquerte, immer noch in Rumals Verlies die Tage bis Mittwinter zählen würdest? Und du verlangst von mir, daß
ich sie verlasse, wenn noch nicht einmal feststeht, ob sie
sterben oder fürs Leben entstellt sein wird?«
»Mußt denn du deshalb bleiben? Ich dachte, die
Leute hier seien ihre nächsten Verwandten?«
»Das sind sie«, gab Magda zurück. »Nur hat sie durch
ihren Eid ihrer Verwandtschaft entsagt. Ich als ihre Eidestochter bin unter diesem Dach die nächste Verwandte, die sie hat.« Sie sagte dies mit absoluter Gewiß
heit, denn sie wußte, Rohana hätte trotz ihrer tiefen
Zuneigung für Jaelle ebenso gesprochen. Rohana hatte
es als selbstverständlich vorausgesetzt, daß es Magdas
Pflicht und ihr Recht war, bei Jaelle zu bleiben und für
sie zu sorgen, und daß ihr Recht größer als das Rohanas
war. Camilla hatte einen Witz darüber gemacht, daß Rohana die Sitten der Freien Amazonen immer noch nicht
kenne. Trotzdem wußte Rohana ganz genau – und vielleicht besser als Magda selbst –, was Jaelle und Magda
einander jetzt bedeuteten.
Peters Zorn war wie immer kurzlebig. Er sagte:
»Wahrscheinlich weißt du selbst es am besten, Mag; das
ist ja für gewöhnlich so. Und das Mittwinterfest ist die
Zeit der Gastfreundschaft; zwei zusätzliche Gäste werden wohl niemandem auffallen.« Er trat an Jaelles Bett
und sah auf sie nieder.
»Wie schön sie ist«, sagte er leise, »oder wie schön sie
ohne diese schreckliche Narbe sein würde! Wie konnte
eine solche Frau auf Liebe und Ehe verzichten?« Jaelle öffnete ihr verbundenes Auge; sie sah nur undeutlich. »Wir verzichten nicht auf die Liebe«, erklärte
sie. »Nur auf die Ehe… die Bande…« Sie streckte die
Hand aus. Peter kniete sich neben das Bett und ergriff
ihre Hand. Obwohl ihre Augen sich wieder schlossen,
ließ sie ihn nicht los.
So kniete er immer noch, als die Tür sich zum zweitenmal öffnete und Lady Rohana mit Dom Gabriels Schwester zurückkehrte, von der Magda gesagt worden war, sie sei eine Leronis. Der Titel wurde für gewöhnlich mit »Zauberin« oder »Weise Frau« übersetzt. Magda vermutete, daß er in diesem Fall »Heilerin« bedeutete. Ihr Name war Alida. Sie war eine kleine, zierliche Frau mit feuerrotem Haar, einige Jahre jünger als Rohana und mit einer undefinierbaren Arroganz, die Magda aus irgendeinem
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