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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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bezweifeln konnte, ich hätte den Pinsel überhaupt mit Farbe befleckt), später jedoch keinen Funken der Inspiration mehr in mir hervorrufen konnte. Am Abend wagte ich mich über schmale Gitter und Stege in den Laderaum, um das Leben an Bord eines Frachtschiffs auszuloten, doch der Gestank der Schweine war unbeschreiblich, und nach der Skizze eines unglücklichen Schweinegesichts kehrte ich in die Koje zurück.
    Herr Temmhort schien mich im Auge zu behalten und bot mir an, mich durch das Luftschiff zu führen – doch ich fürchtete mich vor der Höhe und dem Gas und der wummernden Dampfmaschine und der vor den unberechenbaren Elementen zerbrechlich wirkenden Hülle und all dem und schlug sein Angebot aus.
    Unter all diesen raubeinigen Gesellen hütete ich Ynge in meinem Mantel oder unter meiner Bettdecke und flüsterte lediglich mit ihr, denn was Männer untereinander manchmal tun, wenn sie einen von sich besonders weibisch wähnen, davon hatte ich schon gehört und wollte mich dem auf keinen Fall aussetzen. Der Gedanke daran, dass Ummo zu mir unter die Decke kriechen könnte, weil er sich einbildete, ich sei ein Mädchen, ließ mich erschauern, als ich des Nachts mit seinem Schnarchen im Ohr den Schlaf suchte. Ynge schwieg meist, auch ihr schien die Zeit lang zu werden. „Du hättest mit in die Hülle steigen sollen“, sagte sie am zweiten Tag. „Oben gibt es eine Luke, und dann kann man in den Himmel sehen und die Welt unter sich wie einen weißen Teppich. Wir hätten uns gefühlt, als würden wir fliegen.“
    „Aber Ynge, wir fliegen. Fliegen ist einfach widerlich.“ Danach schwieg sie wieder.
    Herr Temmhort und auch der Luftschiffkapitän, Hauke-Heinrich Holzhauer, vermutlich ein halber Friese, jedoch in der Lage, Sätze zu bilden und mit dem Habitus eines normalen Raubeins, das das Leben zur Luft nun bereits seit Jahrzehnten gewohnt ist, erzählten zwischen ihren Schichten Geschichten von ihrem Leben zwischen Æsta und dem Festland des Deutschen Kaiserreichs, von Piratenüberfällen, Stürmen und entzündetem Wasserstoff. Der hagere Offizier Temmhort war auf Æsta geboren worden – mir war nicht bewusst gewesen, dass es die schwimmende Stadt bereits so lange gab. „Doch, Kaiser Georg hat sie schon vor einem halben Jahrhundert in Auftrag gegeben, nachdem sich 853 Anno Noctis ein abgestürztes Forschungsschiff im Norden auf einen Eisberg gerettet hatte. Sie hatten dort bereits Wrackteile des Luftschiffs installiert, und es war ihnen irgendwie gelungen, den Kurs des Eisberges zu beeinflussen und damit die Gestade Dænemarks anzulaufen. Der Kaiser hatte eine Schwäche für Entdeckungen und Erfindungen und fand die Vorstellung einer Stadt auf dem Eismeer reizvoll, so dass man den Berg nach und nach mit Stahlplatten, Schwimmern, Dampfmaschinen, Schaufelrädern und Unterkünften ummantelte. Nur wenig davon liegt noch offen, obgleich es schon vorgekommen ist, dass Stücke der Stadt abbrachen, Eis kann trügerisch sein, wie wir alle wissen.“
    „Verdammter Leichtsinn, diese schwimmende Stadt“, hatte der schweigsame Kapitän erwidert und seine ewig laufende Nase hochgezogen, eine schreckliche Angewohnheit, nach welcher er stets herzhaft schluckte. „Bin froh, die meiste Zeit in der Luft zu sein. Da weiß man, woran man ist.“
    Ich wusste nicht, ob ich ihm beistimmen sollte. Herr Temmhort fuhr jedoch bereits fort: „Unter Kaiser Wilhelm dem Dritten haben sie den Status einer freien Reichsstadt erhalten. Für manche war das der Anfang vom Ende, denn jetzt befinden sich nicht nur die Arbeiter dort, die die Rohstoffe abbauen, wegen derer die Stadt die nördlichen Küsten anläuft, sondern es hat sich eine illustre Runde von Industriellen und Adelshäusern dort festgesetzt wie die Laus im Pelz.“
    „Schön gesagt, Temmhort!“, lachte der Kapitän und schlug dem auffallend gebildeten Frachtoffizier auf die Schulter. „Ein hartes Pflaster, manchmal, dieses Æsta.“ Geräuschvoll zog er wieder den Rotz in der Nase hoch. „Deshalb bin ich lieber in der Luft.“
    „Also, was werden Sie als Erstes tun, wenn Sie Æsta betreten?“, fragte Temmhort, und ich zuckte vage die Achseln. „Mich umsehen. Mir ein Bild von der Stadt machen.“ Und ihren Tücken. Ihren mörderischen Tücken, diesen Fingern, die sie selbst nach Venedig ausgestreckt hat.
    „Sagen Sie, Herr Temmhort“, begann ich, doch Ynge schüttelte den Kopf, als ahne sie, dass ich nach den Shellys hatte fragen wollen. Ich überlegte kurz, doch dann

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