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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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kreditwürdig sind. Vielleicht haben Sie etwas zu versetzen? Es gibt einen Pfandleiher in der Stadt, ich weise Ihnen gerne den Weg.“
    „Unverschämtheit! Gilt denn ein guter Name hier gar nichts?“, fuhr ich ihn an, machte dumm und heißspornig, wie ich war, auf dem Absatz kehrt und verließ die Bank, ohne weiter zu diskutieren.
    Draußen rang ich nach Luft. Kalter, schneidender Meeresluft.
    Ynge zuckte in meinem Arm die Achseln. „Du musst entweder hartnäckiger sein oder dich mit dem zufriedengeben, was du hast.“
    Es wurde bereits dunkel – grau zog die unheimlich früh hereinbrechende Nacht von Osten herauf, während der Westen sich noch mit einem Leuchtfeuer zur Wehr setzte. Ohne ein weiteres Wort stapfte ich zurück zum Hotel, nahm mein Gepäck wieder auf und trat hinaus in die Ungewissheit Æstas.

    Ich war umhergelaufen, teils konfus, teils einfach gedankenlos staunend. Immer dunkler war es geworden, obgleich die Hauptstraßen der schwimmenden Stadt von Gaslaternen erhellt wurden. Ich hatte mir einen Backfisch und Brot gegönnt, sorgsam meine restlichen Münzen in der Hand wiegend, als könnte ich dadurch abschätzen, wieviel Zeit mir auf Æsta bliebe.
    „Irgendwie müssen wir ja auch wieder zurück. Möglicherweise muss ich dann tatsächlich auf einem Luftschiff anheuern!“
    Ynge kicherte, und ich warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. „Klingt das so komisch?“
    Ich stellte fest, dass ich bei meinem ziellosen Umherlaufen zwischen Häusern, Türmen, Fabrikgebäuden und Werkstätten in ein weniger erhelltes Viertel gekommen war. Über mir dehnte sich ein endloser Sternenhimmel – es schien Sterne zu geben, die so tief hinter anderen verborgen waren, dass man sie nur in manchen Nächten erahnen konnte … wie die Augen Gottes. Ratten huschten vor mir über die Straße, und ein Blick in eine noch beleuchtete Halle verriet mir, dass ich dort angelangt war, wo auch die Schweine aus dem Frachtraum hinfinden würden – an Haken baumelten die Hälften von Schlachtvieh von der Decke, sie sahen so unwirklich unlebendig aus, dass ich kurz überlegte, eine rasche Zeichnung anzufertigen.
    Es ist so, dass ich die Wirklichkeit liebe. Sie hat eine ganz eigene Poesie, und die Kunst hat ihr oft nichts mehr hinzuzufügen. Die Kunst kann das Ohr sein, in das die Wirklichkeit flüstert, und der Mund, durch den die Worte wieder herauskommen. Auf ihrem Weg werden die Worte möglicherweise verändert, möglicherweise gedeutet, doch je reiner sie wieder zum Vorschein kommen, desto erstaunlicher finde ich das Ergebnis. Eingefangene Wirklichkeit.
    Leider waren nicht viele Leute meiner Meinung. Das war mein Problem mit den Ölschinken, ich habe es ja bereits erwähnt.
    Eventuell hätte ich Photograph werden sollen – aber ich will auch nicht nur einen Apparat auslösen. Ich will, dass die Wirklichkeit ihren Weg durch mich hindurch nimmt.
    Als ich mich gerade entschlossen hatte, inmitten der Ratten und des Schmutzes des Arbeiterviertels meinen Block herauszuziehen (wie viele Blätter würde ich noch mit Skizzen füllen können, bevor er zur Neige ging?), sprach mich eine heisere Stimme an: „Bürschchen, was treibst du hier?“
    Als ich aufsah, einen bulligen Mann befürchtend, der für die Sicherheit der Schlachthöfe zuständig war, gewahrte ich eine recht schmale ältere Frau, die jedoch mit einer Stimme wie einem Reibeisen bedacht worden war.
    „Ich … laufe nur so herum. Ich bin neu hier.“
    „Hier bist du im falschen Viertel, Schätzchen. Ich würde mir ein hübsches Zimmer suchen. Hier sind die Ratten nicht das Schlimmste, aber die übertragen Krankheiten.“
    Ich sah erschreckt auf eine Ratte, die angefangen hatte, meine Stiefelspitze zu begutachten. Ein rascher Tritt beförderte das furchtlose Tier pfeifend einige Meter weiter.
    „Danke für den Hinweis. Mit wem habe ich die Ehre?“, fragte ich höflich.
    „Ich bin Liese, und ich zerlege Schlachtvieh.“
    „Sehr erfreut. Ich bin Naðan, und ich zeichne Schlachtvieh. Zumindest wollte ich das.“
    „Jungchen, geh woanders hin und zeichne ein hübsches Mädel. Das ist dankbarer als Schlachtvieh. Nachts solltest du dich hier nicht rumtreiben. Kann alles Mögliche passieren.“ Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern: „Zur Gewerkschaft gehörst du nicht?“ Auf meinen verwirrten Blick hin fuhr sie fort, als hätte sie diesen Satz nie gesagt: „Die Krankheiten, ich habe dich gewarnt!“
    Doch noch eine andere Warnung flackerte in ihrem Blick, als sie die

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