Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
an der Brust ihres Liebsten zurück und flüsterte: »Ist es dir aufgefallen?«
»Was denn?«, fragte Taramis. Er fühlte sich matt und schwer. Das Knie und Dutzende blauer Flecken schmerzten. Außerdem schwappte der Rotwein in seinem Kopf hin und her.
»Ischáh und Keter«, raunte Shúria. »Wie dicht sie beieinandersitzen.«
»Ich hab gar nicht drauf geachtet.«
»Ob sich zwischen den beiden etwas anbahnt?«
Er lächelte. »Ihr Frauen habt anscheinend einen sechsten Sinn für solche Dinge. Ich weiß es nicht, mein Schatz. Wünschen täte ich es ihnen schon.«
Sie neigte den Kopf weit zurück, zog sein Gesicht auf das ihre hinab und küsste ihn. »Taramis?«
»Ja?«
»Würdest du mich wieder heiraten?«
»Die Frage ist mir zu hypothetisch.«
Sie machte einen Schmollmund.
Er legte seine Hand um ihren Hals, begann ihr Ohrläppchen zu reiben und lächelte. »War nicht ernst gemeint. Du und Ari, ihr zwei seid die wertvollsten Menschen für mich. Ich hätte mit Gaal bis ans Ende der Tage gerungen, um euch zu befreien. Genügt dir das als Antwort?«
»Ja«, antwortete sie leise. »Taramis?«
»Ja, Schatz?«
»Würde es dich stören, wenn wir unser neues Haus ein klein wenig größer bauten?«
»Wozu? Im alten war doch genug Platz für Ari, dich und mich.«
»Ja eben.«
Er blinzelte. Mit einem Mal begriff er, was sie ihm sagen wollte. »Du bekommst …?«
»Pscht!«, machte sie und flüsterte: »Es ist noch nicht ganz sicher. Meine Regel hat sich womöglich nur verspätet. Selvya sagte zu mir: ›In Euch ist etwas von Taramis.‹ Was sonst könnte sie damit gemeint haben?«
»Darf ich schreien? Ich bin so glücklich.«
»Nicht heute. In ein paar Tagen vielleicht.«
Dieses Mal küsste er sie lang und innig. Als sich ihre Lippen voneinander lösten, wirkte Shúrias Gesicht nachdenklich.
»Taramis?«
Er seufzte. »Was ist, Liebes?«
»Ich möchte, dass du etwas weißt.«
»Du brauchst es nicht zu sagen, Schatz.«
»Doch. Nichts soll zwischen uns sein. Niemals.«
»Shúria!«, antwortete er in beschwörendem Ton. »Ich habe dich und Ari den Flammen entrissen. Mir ist klar, dass du dir dieses Schicksal hättest ersparen können. Du bist mir treu geblieben. Ist es das, was du mir sagen wolltest?«
Sie schmiegte ihre Wange an seine Brust und nickte.
Über die nachfolgenden Ereignisse berichten die Quellen in widersprüchlicher Weise. Die verbreitetste und wohl auch glaubhafteste Version hat in die Annalen von Berith Eingang gefunden und sich bis in die entferntesten Winkel der Welt verbreitet.
Demzufolge sah man im Zusammensturz des Bluttempels und dem Fall des Götzenbildes ein himmlisches Zeichen. Von Stund an hörten die Feueropfer auf. Die Öfen rissen die Peorer ab, zermahlten die Steine zu Staub und schütteten diesen ins Meer. Nichts sollte mehr von dem grausamen Kult übrig bleiben.
Ebenso verfuhr man mit den Trümmern des Tempels. Taramis bat darum, ihm sofort Nachricht zu geben, sobald man die Leiche des dagonisischen Königs finde. Er wartete jedoch vergeblich. Veridas meinte, ein menschlicher Körper könne bei einem so gewaltigen Zusammenbruch vollständig zermahlen werden. Den zweimaligen Bezwinger Gaals stellte diese Erklärung nicht zufrieden. Er hatte sich schon einmal falsche Hoffnungen gemacht.
Die kolossale Dagonfigur auf dem Tempelvorplatz hatte beim Umkippen den Kopf verloren. Er war auf der Schwelle des Tempels liegen geblieben. Zur Erinnerung an dieses Ereignis wurde der Auferweckungstag im Labyrinth der tausend Scherben fortan Tag der Entleibung genannt. Das ehemalige Tempelareal wandelte man in einen öffentlichen Garten um, der sich direkt an den Park des Regierungspalastes anschloss. Manchmal konnte man in der Grünanlage Männer oder Frauen beobachten, die um die Stelle, wo Dagons Haupt zur Ruhe gekommen war, einen Bogen machten. Ihre abergläubische Furcht zeigte deutlicher als anderslautende Lippenbekenntnisse, dass der Große Fisch in Peor noch immer seine Anhänger hatte. Vielleicht lebte in deren Herzen auch der Feuerkult weiter.
Nach dem Ableben Ogs und dem Verschwinden Eglons vollzog sich der Regierungswechsel in Komana erstaunlich schnell. Bereits in der Nacht des Tempelsturzes übernahmen die Rebellen in der Hauptstadt die Kontrolle. Siaths Goldmilan Tosu hatte das Signal zum Umsturz gegeben, der das Ende der Schreckensherrschaft brachte! Den Aufständischen gehörten ebenso hochrangige Vertreter aus dem Militär und anderen Führungsschichten wie auch Leute
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