Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
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Und die Botschaft kam an.
Die Menschenmenge tobte. Wütend blickten sie zu dem Antisch hinauf, der eigentlich falsch und dann doch wieder echt war – selten hatte ein Trugbild die Wahrheit so klar offenbart. Die Menschen ballten Fäuste, schrien Beschimpfungen und warfen mit Sandalen, von denen aber keine einzige auch nur annähernd die Dachkante erreichte.
Dafür hatte Taramis endlich die nötige Höhe gewonnen, um seinen Gegner anzugreifen. In sicherer Entfernung zu ihm landete er auf dem Kupferdach des Rundbaus. Wie ein Lanzenreiter senkte er die Spitze des Feuerstabes und richtete sie drohend auf Gaal. Such deine Mitte!, beschwor er sich, wie Marnas es ihn gelehrt hatte. Wenig Kraft am rechten Punkt kann viel bewirken.
Der falsche Oberpriester trat von der Dachkante zurück, wodurch ihn die Menschen auf dem Tempelvorplatz aus den Augen verloren. Er stolzierte aufs Zentrum des Kupferrondells zu, den Blick fest auf den ruhig dastehenden Reiter gerichtet. »Was soll das werden?«, schnaubte er voller Verachtung. »Willst du Ritterspiele mit mir aufführen?«
Lass dich nicht provozieren. Kontrolliere deine Energie. Stell dir vor, du müsstest sie durch ein Nadelöhr pressen. Der Rat seines Meisters hallte in Taramis’ Geist wider. Erst jetzt verstand er die Worte in ihrer ganzen Bedeutung, fand fast wie von selbst den Weg, seinen Geist zu lenken – die Ruhe, die er schon im Altarraum verspürt hatte, half ihm dabei.
Gaal deutete das Schweigen seines Erzfeindes wohl als Trotz. »Ich werde dich entzweireißen, jämmerlicher Lurch, so wie ich schon deine Scholle zerrissen habe.«
»Die Tücke ist dein Gift. Ohne sie bist du nur ein aufgeblasener Feuerfisch«, antwortete Taramis in ruhigem Ton. »Besäßest du nämlich wirkliche Stärke, hättest du mich daran gehindert, deinen Sohn Bochim zu töten.«
»Was hast du?«, dröhnte Gaal. Seine Stimme war nicht mehr die eines gewöhnlichen Antischs. Das ganze Tempeldach erzitterte unter dem zornigen Brüllen.
Taramis blieb leise. Er hatte seinen inneren Schwerpunkt gefunden, ruhte darin und konzentrierte sich nun auf das Nadelöhr. »Der Seelenfresser, den du Reghosch nanntest, ist an seiner eigenen Bosheit zugrunde gegangen. Ez hat das Feuer nur entzündet.«
»Du elender Wurm! Offenkundig hast du immer noch nicht begriffen, welche Macht ich besitze.«
»Wenn du so gewaltig bist, warum dann diese Maskerade? Wieso verbirgt sich der König von Dagonis zwölf Jahre lang hinter der Maske eines Priesters?«
»Die Komanaer brauchen nicht zu wissen, wer sie in Wahrheit anführt. Diese Lurche sind stärker und mir dienlicher, solange sie sich selbst als Herren der Welt wähnen. Ihre Dekadenz und Selbstzufriedenheit nützt dem großen Plan.«
»Der große Plan?« Mitleidig schüttelte Taramis den Kopf. »Was nützt er denn dir, wenn dich dein eigenes Volk bei deiner Rückkehr nach Dagonis nicht mehr kennt?«
»Ha!«, lachte Gaal auf. »Ich habe hier weniger Tage zugebracht, als du denkst. Ihr Ungestreiften seid so leicht irrezuführen! Außerdem kann sich ein Oberpriester auch mal rarmachen. Hast du sonst noch was zu sagen, bevor ich dich zerfetze?«
»Nein. Genug geredet.« Für sein Gegenüber nicht erkennbar, beschwor Taramis die Zähe Zeit herauf, hob wieder den zwischenzeitlich nach unten gesunkenen Stab und ließ Allon losstürmen.
Niemand – nur der Himmel – sah das bizarre Bild, hoch über den Köpfen der aufgewühlten Menschenmenge. Hüben galoppierte der geflügelte Schatten heran – er gab sein Letztes, um den Freund nicht zu enttäuschen –, drüben stand der Feuermensch mit geballten Fäusten.
Der Angriff des Königs kam überraschend. Taramis hatte mit allem Möglichen gerechnet, nicht jedoch damit. Die Zähe Zeit schien sich für ihn gleichsam in klebrigen Morast zu verwandeln. Anstatt seine Wahrnehmung zu schärfen, behinderte sie sein Vorwärtskommen.
Das Ippo und sein Reiter verlangsamten sich. Hätte man sie in diesem Moment gemalt, wäre die Entschleunigung niemandem aufgefallen. Galoppierender Himmelsreiter – der Name des Bildes drängte sich auf. Allons Schwingen waren angelegt, der Schwanz blieb lang nach hinten ausgestreckt, die Quaste daran flatterte weiter im Wind. Oben saß Taramis, vorgebeugt, die »Lanze« dem Feind entgegengestreckt. Und verstand die Welt nicht mehr.
Ihm entging die zunehmende Trägheit zwar nicht, er fühlte sich dabei aber auch nicht irgendwie eingepfercht oder gefesselt. Vor allem an
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