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Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Titel: Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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warteten sie unter den Blättern eines größeren Busches wochenlang auf Beute. Sie verschmähten weder Schafe noch Wölfe, fraßen Echsen und Vögel. Und wenn ein Mensch dumm genug war, sich in die Nähe ihres agilen Geästs zu wagen, dann verleibten sie sich sogar diesen ein.
    »Shúria!«, schrie Taramis und streckte die Hand nach Ez aus. Das Dröhnen aus dem Innern der Scholle war ohrenbetäubend. Als er den Ruf wiederholen wollte, kamen nur noch unverständliche Laute hervor. Seine Zunge fühlte sich pelzig an. Das Nesselgift wirkte erschreckend schnell. Er brachte nicht einmal mehr die Kraft auf, den Feuerstab mithilfe seines Willens aus dem Boden zu ziehen. Der Stecken zitterte zwar, kam aber nicht frei. Taramis verfluchte seine Selbstgefälligkeit. Er war auf seinen großen, muskulösen, raubtierhaften Körper und die schnellen Reflexe immer so stolz gewesen, und ebenso auf die Fähigkeit, Trugbilder zu erschaffen und verborgene Spuren sichtbar zu machen. Seine anderen Geistesgaben hatte er ein Jahrzehnt lang brachliegen lassen, bis sie verkümmert waren. Jetzt rächte sich diese Nachlässigkeit.
    Während ihn die Yateveo Zoll um Zoll über den Weg schleifte, wankte Shúria mit ihrem Sohn an der Hand näher. Sie hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten, denn der Boden bebte immer stärker. Und plötzlich, fast hatten sie den Acker erreicht, riss er vor ihnen auf. Sie stolperten. Ari fiel. Shúria schrie.
    Taramis brüllte vor ohnmächtiger Wut. Vor seinen Augen tanzten Sterne. Sein umnebeltes Bewusstsein klammerte sich verzweifelt an den Feuerstab. Ez zitterte noch heftiger. Das Futteral aus Hirschkalbsleder kroch an seinem schwarzen Schaft empor, bis es herabfiel. Der Stecken selbst wollte sich aber nicht aus dem Erdreich lösen.
    Shúria war auf die Knie gegangen. Sie hatte ihren Sohn nicht losgelassen. Er hing in dem etwa sechs Fuß breiten Spalt, der sich als dunkle, gezackte Linie quer über die Landzunge erstreckte. Mit verzerrtem Gesicht zog sie ihn zu sich herauf, presste ihn an sich und sank mit ihm rückwärts hin.
    Taramis spürte Zweige im Rücken. Was das bedeutete, war klar. Die Yateveo hatte ihn schon fast bis in ihr Versteck gezerrt. Gleich würde sie zum tödlichen Würgegriff ansetzen. Wahrscheinlich hatte sich ihr schlauchartiger Leib schon geöffnet, um die erdrosselte Nahrung aufzunehmen.
    Da riss sich endlich Ez aus dem Boden los, glitt aus dem Lederfutteral und flog über etwa dreißig Schritte hinweg in Taramis’ ausgestreckte Rechte.
    Er wälzte sich auf den Rücken herum und stieß zu. Die Spitze des Stabes durchbohrte einen Ast, der sich gerade um seinen Hals hatte winden wollen. Der getroffene Fangarm zuckte zurück wie eine Hand von einem glühend heißen Ofen.
    Die übrigen Tentakel packten dafür umso schmerzhafter zu. Das Blattwerk des Strauches raschelte, als bebe die darin verborgene Kreatur vor Zorn. Offenbar fand das Feuer von Ez in der Yateveo aber keinen boshaften Geist, an dem es sich entzünden konnte, sonst wäre ihr Widerstand längst erlahmt.
    Wütend stach Taramis auf die Zweige ein, die an seinen Beinen zerrten. Glücklicherweise taugte das schwarze, fast unzerstörbare Holz des Stabes auch als gewöhnlicher Speer recht gut. Beim wiederholten Durchbohren des zweiten Tentakels nahm das Zittern des Geästs noch zu. Als Taramis den dritten Fangarm attackierte, wurden die Zweige des Strauches unversehens auseinandergerissen.
    Über ihm ragte die bis in die Wurzelspitzen bebende Yateveo wie ein bizarrer, grünbrauner, knorriger Baum auf. Ihre Borke glänzte wie Siegelwachs. Die Blätter an den borstigen Ästen hatte sie eingerollt und dadurch zu kleineren Fangarmen umgeformt. Wie ein Haarkranz umgaben andere Tentakel ihre Fressöffnung am oberen Ende des etwa zehn Fuß hohen, schlauchartigen Stammes. Der gierige Schlund neigte sich zu Taramis herab.
    Er quälte sich auf die Füße, obwohl ihm die Schmerzen fast die Besinnung raubten und der Boden unvermindert bebte. Ein Fangarm schoss auf seine Brust zu. Mit einer gezielten Parade wehrte ihn Taramis ab und stieß Ez in den Leib des Borstenwürgers. Einmal. Zweimal. Immer wieder durchbohrte das schwarze Holz die Rinde. Die Yateveo hatte kein Herz, deshalb musste man sie auch herzlos bekämpfen.
    Unversehens ließ sie das Geäst des Strauches los. Zweige peitschten Taramis ins Gesicht. Er warf sich flach auf den Boden und wappnete sich für den nächsten Angriff, doch die fleischfressende Pflanze zog sich zurück.

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