Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
eine Öffnung, die mit Kristallglas versiegelt war. »Dort könnt Ihr hinaussehen, wenn Ihr wollt. Wir brauchen ungefähr drei Stunden bis zur Insel der gebrochenen Flügel.«
Der Aufstieg in der Lufthülle erfolgte so sanft wie bei den meisten Schwallern. Erst als Silberwolke das offene Meer erreichte, wechselte sie ihre Gangart. Die ruckhafte Fortbewegungsweise war nichts für empfindliche Mägen.
»Fast wie ein Ritt auf einem Steppenpferd, nicht wahr?«, sagte Timur gut gelaunt.
»Da lobe ich mir doch mein Ippo«, brummte Taramis. Er verspürte eine leichte Übelkeit.
»Ich hörte schon von Eurem geflügelten Rappen. Es soll ein außergewöhnlich edles Tier sein. Bei uns heißt es, das Ross spiegele den Charakter seines Herrn wider.«
Plötzlich vernahm Taramis hinter sich ein Klappern. Blitzschnell fuhr er herum und richtete die Spitze seines Stabes auf die Öffnung der Verbindungsröhre. Dort war niemand zu sehen. »Was war das?«, fragte er.
Timur zuckte die Achseln. »Der Sipho leitet den Schall durch das ganze Gehäuse. Wahrscheinlich hat jemand in den äußeren Kammern etwas fallen gelassen.«
»Nein. Das Geräusch kam von der anderen Seite. Auf mein Gehör kann ich mich verlassen.«
»Da gibt es nur noch einen Stauraum. Viel zu eng für einen Mann.«
Obwohl Timur die Wahrheit zu sagen schien, war Taramis nicht überzeugt. Er schnappte sich eine Lampe, um der Sache auf den Grund zu gehen. Zuerst streckte er Ez, dann seinen eigenen Kopf durch die Öffnung, die ins Atemrohr des Perlbootes führte. Darin war niemand zu sehen. Mit stoßbereitem Stab wandte er sich nach rechts und folgte der Windung des Siphos. Nach wenigen Schritten stieß er auf ein weiteres Loch.
»Komm raus oder ich erwische dich mit dem Feuerstab«, drohte er.
Im Stauraum herrschte Stille.
Hatte er sich doch geirrt? »Sich tot zu stellen nützt dir nichts. Wenn dir dein Leben lieb ist, zeigst du dich mir sofort« , versuchte er es mit noch mehr Unnachgiebigkeit in der Stimme. Und diesmal hatte er Erfolg.
Zunächst hörte er nur das Rascheln von Kleidung. Dann erschien der Kopf eines verschleierten Mädchens in der Öffnung. Seine großen, schwarzen Augen sahen Taramis ängstlich an.
»Wer bist du denn?«, wunderte er sich. Unwillkürlich war sein Ton freundlich geworden.
»Mein Name ist Yula. Ich bin die Tochter des Khans«, antwortete sie scheu.
»Hast du deinen Bruder und mich belauscht?«, fragte er streng.
Sie wich seinem Blick aus. »Ich habe mich nur versteckt.«
»Weiß dein Vater, wo du dich herumtreibst?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich bin nur ein Mädchen. Was mit mir geschieht, ist ihm egal. Als ich von Euch hörte, habe ich beschlossen, Segel zu setzen. Ihr seid der Vater von Loki, nicht wahr?«
Er stutzte. »Loki?«
»So hat sich der Junge genannt. Seinen richtigen Namen wollte er mir nicht verraten. Diesen Loki, gibt es den eigentlich?«
»Und ob! Er ist ein Kater mit nur einem Auge.«
Yula kicherte. »Das sieht ihm ähnlich.«
»Mein Sohn heißt in Wirklichkeit Ari. Wie geht es ihm?«
»Ich habe mich über eine Woche lang um ihn gekümmert. Jeden Tag hat er mir von Euch erzählt. Er liebt und bewundert Euch sehr. ›Mein Vater wird mich holen kommen, und dann nehme ich dich mit‹, versprach er mir. Eines Nachts war plötzlich seine Mutter da. Danach sind die beiden spurlos verschwunden.«
»Weil man sie auf die Insel der gebrochenen Flügel gebracht hat. Wie hast du das mit dem Segelsetzen gemeint?«
»Ari sagte zu mir, das Leben sei wie ein Fluss. Die meisten lassen sich darauf einfach treiben, bis sie von Stromschnellen mitgerissen werden oder einen Wasserfall hinunterstürzen. Es gibt aber auch andere, erklärte er mir, die setzen Segel und bestimmen selbst ihren Kurs. Deshalb bin ich hier. Nehmt Ihr mich mit, Herr?« Ihre großen Augen leuchteten voller Hoffnung.
Er brachte es nicht fertig, das Mädchen zu enttäuschen, und zwang sich zu einem Lächeln. Was hätte Bahadur wohl an seiner Stelle getan? Sich gefreut, weil er nun gleich zwei Kinder seines Feindes als Geiseln nehmen konnte?
Gemessen an ihren Ausmaßen war die Festung schlecht bewacht. Auf den Mauern und Aussichtspunkten standen nur einzelne Posten, und selbst die wirkten auffällig gelangweilt.
»Das schmeckt mir nicht«, sagte Taramis, während er die Landung des Perlbootes durch eines der Kristallfenster verfolgte. »Ihr könnt mir nicht weismachen, dass in einer so weitläufigen Anlage so wenige Männer Dienst tun.«
»Das
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