Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
Druckwelle, die ihn wie ein Blatt im Herbststurm herumwirbelte. Die Kiemenkapsel knisterte, als tobe draußen ein mörderischer Sandsturm. Taramis fürchtete, sie könnte jeden Moment zerspringen. Doch wie durch ein Wunder hielt sie den Kräften der Woge stand, und bis auf ein paar Blessuren überstanden alle unbeschadet den Höllenritt.
Instinktiv erlangte der Donnerkeil bald wieder seine stabile Schwalllage zurück und ließ sich von der großen Welle immer weiter aus dem ehemals finsteren Zentrum der Welt tragen. Es war Jagur, dem es zuerst auffiel. Er rieb sich die Stirn, an der gerade eine beachtliche Beule wuchs.
»Habt ihr schon gesehen? Die Dunkelheit ist weg.«
Tatsächlich war die See dort, wo einst die Schlafende Insel verharrt hatte, so ungetrübt und ruhig wie überall sonst. Die ganze Zentralregion hatte sich aufgeklart.
»Ja«, sagte Taramis tief bewegt. Im rechten Arm hielt er Shúria, im linken Ari. »Jetzt ist Berith im Gleichgewicht.«
Epilog
I n klaren Nächten sah man einmal im Monat noch einen Schatten der Schlafenden Insel. Weise Männer sagten, er sei ein auf alle Zeiten sichtbares Mahnmal, das vor der Hybris warne, die Dagonis zum Verhängnis geworden war. Er lag als langes Band aus glitzerndem Staub genau auf der Linie des Speeres Jeschurun, dieser schnurgeraden Konstellation von Inseln, die im Monatsrhythmus am Himmel erschien. Ihr waren lediglich zwei Fixpunkte abhandengekommen: Har-Abbirím am unteren Ende und Dagonis in der Mitte. An diesen Veränderungen globalen Ausmaßes hatte ein Mann mitgewirkt, der ebenfalls als Jeschurun – als »Redlicher« – in die Annalen von Berith Eingang gefunden hatte. Wir kennen ihn besser unter dem Namen Taramis.
Dieser Held – er selbst hatte es zeitlebens abgelehnt, so genannt zu werden – war nach dem Untergang des Dagonisischen Reiches mit allen möglichen Anträgen überhäuft worden. Auch der Titel eines Großkaisers von Berith gehörte dazu. Gewöhnlich antwortete er auf derlei Vorschläge bescheiden: »Es war Gaos Hand, die mich führte. Ich habe sie nur immer schön festgehalten.«
Mit dem beschaulichen Landleben auf Barnea war es für ihn und seine Familie trotzdem vorbei. Versucht hatte er es schon, doch die Ströme von Pilgern, die zu ihm kamen, um seinen Rat zu erbitten, rissen nicht ab. Irgendwann zog er mit Shúria, Ari und Aïschah nach Jâr’en um, wo das Leben etwas behüteter verlief. Hier konnte er täglich seinen alten Freund Marnas um Rat fragen, und diese Gelegenheit nutzte Taramis weidlich aus, weil er sich selbst bestenfalls als unfertigen Ratgeber sah.
Das hinderte die Menschen allerdings nicht daran, ihn weiter in allen Lebenslagen zu konsultieren. Bald kamen sie auch mit kniffligen Rechtsfragen zu ihm, und Taramis entwickelte ein erstaunliches Talent darin, kluge und faire Urteile zu sprechen. So wurde aus dem Helden irgendwann – ein König wollte er ja partout nicht sein – der Rechtsprecher. Schließlich fand sich ein Titel, mit dem er sich anfreunden konnte: Der Erste Richter von Berith.
Nicht wenige sprachen es ihm zu, dass man sich in der Scherbenwelt nun wieder verstärkt auf die alten Werte und Tugenden besann. Auf seine historische Rolle angesprochen, antwortete er dann gewöhnlich, die jahrtausendealte Prophezeiung von der Säule des Bundes habe sich erfüllt: Dagonis gibt dir Gleichgewicht. Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt.
Der Reif der Erkenntnis wurde niemals mehr gesehen, womit auch das Geheimnis der Seelenbäume gewahrt blieb. Manche behaupten allerdings noch heute, Taramis sei eines Tages zum Haus der Sterne aufgebrochen und habe den uralten Ring seinem Vater zurückgebracht. Bei der Gelegenheit hätten sich die beiden ausgesöhnt. Danach habe Taramis auf dessen Rat hin das Amt des Ersten Richters angenommen.
Gesichert ist jedenfalls, dass er mit seinen alten Weggefährten ein Leben lang Verbindung hielt. Oft traf man sich auf der Heiligen Insel. Etliche lebten ohnehin noch viele Jahre dort. Zu diesen Vertrauten gehörte Zur, der den Zuspruch seines Kameraden gut gebrauchen konnte. Zwischen ihm und Siath hatte sich eine stille Liebe angebahnt, die keinem so richtig aufgefallen war. Nun trauerte er um sie und nahm sich nie eine andere Frau. Vielleicht gehöre das zum Amt des Hüters von Jâr’en, sagte der weise Marnas. Taramis widersprach ihm allerdings vehement. Er selbst sei der lebende Gegenbeweis für diese haltlose Theorie.
Bis ins hohe Alter unternahm er
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