Die Zitadelle des Autarchen
in seinem Blut lag, kam er mir doch noch viel lebendiger als Triskele vor. Jedenfalls bückte ich mich nach ihm und streichelte seinen Kopf. Er war groß wie ein Bärenschädel, und man hatte ihm die Ohren abgeschnitten, so daß nur mehr zwei Stummel abstanden. Bei meiner Berührung schlug er die Augen auf. Ich flitzte zurück über den Hof und stieß die Latte so heftig hinauf, daß sie sofort durchging, weil ich befürchtete, Drotte würde Roche zum Nachsehen schicken.
Wenn ich’s mir recht überlege, dann kommt’s mir vor, als hätte ich die Klaue schon gehabt – obwohl ich sie erst ein Jahr später bekam. Ich kann gar nicht beschreiben, wie jämmerlich es ausgesehen hat, als er mir die Augen zugedreht hat. Ich war zutiefst gerührt. Tiere habe ich nie wiederbelebt, solange ich die Klaue hatte; freilich hab’ ich’s gar nicht probiert. Wenn ich unter Tieren war, dann wollte ich ihnen für gewöhnlich den Garaus machen, um etwas in den Magen zu bekommen. Nun habe ich Zweifel, ob es überhaupt recht ist, Tiere als Nahrung zu töten. Mir fiel auf, daß Ihr kein Fleisch unter Euren Vorräten hattet – nur Brot, Käse, Wein und Dörrobst. Ist Euer Volk, auf welcher Welt auch immer man in Eurer Zeit leben mag, ebenfalls dieser Ansicht?«
Ich hielt inne, um eine Antwort abzuwarten, die jedoch ausblieb. Alle Berggipfel waren mittlerweile unter die Sonne gesunken; ich war mir nicht mehr sicher, ob ich noch einen Rest von Meister Ash oder bloß meinen Schatten zum Begleiter hatte.
Ich sagte: »Als ich die Klaue noch hatte, stellte ich fest, daß sie diejenigen nicht wiederbelebte, die durch Menschenhand umgekommen waren, obgleich sie offenbar den Menschenaffen, dessen Arm ich abschlug, geheilt hatte. Dorcas sah den Grund dafür darin, daß ich selbst es getan hatte. Ich kann’s nicht sagen – ich kam nie auf den Gedanken, die Klaue wisse, wer sie trage und führe, obgleich es vielleicht so war.«
Eine Stimme – nicht die von Meister Ash, sondern eine mir völlig fremde – rief: »Ein schönes neues Jahr wünsch’ ich!«
Ich blickte auf und sah in etwa vierzig Schritt Entfernung einen solchen Ulanen, wie ihn Hethors Notulen auf der grünen Straße zum Haus Absolut getötet hatten. Da ich nicht wußte, was ich sonst sagen sollte, erwiderte ich winkend: »Dann ist heut’ Neujahr?«
Er spornte seinen Renner und galoppierte heran. »Mittsommer, der Beginn des neuen Jahrs. Ein glorreiches Neues unserm Autarchen.«
Ich besann mich auf einen der Sprüche, die Jolenta so gern gebraucht hatte. »Dessen Herz der Schrein seiner Untertanen ist.«
»Schön gesagt! Ich bin Ibar vom 78. Xenagie auf Patrouille an dieser Straße bis – o weh – zum Abend.«
»Es ist hier bestimmt nicht verboten, die Straße zu benutzen.«
»Ganz und gar nicht, sofern man sich natürlich ausweisen kann.«
»Ja«, sagte ich, »selbstverständlich.« Ich hatte den Geleitbrief, den Mannea mir geschrieben hatte, ganz vergessen. Nun zog ich ihn hervor und reichte ihn ihm.
Als ich auf dem Weg zum Letzten Haus aufgehalten worden war, hatte ich meine Zweifel gehabt, ob die Soldaten, die mich überprüften, überhaupt lesen könnten. Sie hatten zwar jedesmal das Dokument mit recht gescheitem Mienenspiel betrachtet, aber vielleicht lediglich das Siegel des Ordens und Manneas gleichmäßige und schwungvolle, wenn auch etwas verschnörkelte Handschrift erkannt. Daß der Ulan lesen konnte, sah ich eindeutig an seinem Blick, der den einzelnen Zeilen folgte und, wie ich sogar zu bemerken glaubte, bei »würdig bestattet« stutzte.
Behutsam faltete er das Schreiben zusammen, behielt es aber noch. »Du bist also ein Diener der Pelerinen.«
»Ich habe die Ehre, ja.«
»Du hast also gebetet. Dachte, du führst ein Selbstgespräch, als ich dich sah. Ich halt’ nichts von diesem religiösen Quatsch. Wir haben die Standarte des Xenagie bei der Hand und in der Ferne den Autarchen, und das ist alles, was ich an Ehrfurcht und Mysterium brauche; aber es sind, wie man hört, gute Frauen.«
Ich nickte. »Ich glaube – wohl ein bißchen mehr als du –, das sind sie wirklich.«
»Und du bist in ihrem Auftrag unterwegs. Seit wie vielen Tagen?«
»Drei.«
»Kehrst du denn jetzt zum Lazarett bei Media Pars zurück?«
Ich nickte abermals. »Möchte noch vor dem Dunkelwerden ankommen.«
Er schüttelte den Kopf. »Schaffst du nicht. Laß dir Zeit, rat’ ich dir.« Er hielt mir das Pergament entgegen.
Ich nahm es und verstaute es wieder in meiner
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