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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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bestimmt tot. Du wirst der einzige sein, der sich erinnert, Severian.«
    Ich versicherte ihr, ich würde mich stets daran erinnern.
    »Erzähl sie den Menschen, bitte! An Winterabenden oder nach getaner Arbeit. Weißt du die Geschichten noch?«
    »»Meine Heimat ist das Land der fernen Horizonte, des weiten Himmels.‹«
    »Ja«, antwortete sie und schien eingeschlafen zu sein.
    Mein zweites Versprechen habe ich gehalten, indem ich alle Geschichten zuerst auf den leeren Blättern am Ende des braunen Buches vermerkt und dann hier so wiedergegeben habe, wie sie mir an jenen langen, lauen Tagen erzählt worden sind.
     

 
Guasacht
     
    Zwei Tage lang wanderte ich umher. Dazu will ich nicht viel erzählen, denn es gibt nichts zu erzählen. Ich hätte mich wohl mehreren Einheiten anschließen können, aber ich hatte große Bedenken, ob ich überhaupt Soldat werden wollte. Ich wäre gern zum Letzten Haus zurückgekehrt, war aber zu stolz, mich der Mildtätigkeit von Meister Ash anheimzugeben, der wohl wieder in seiner Klause zu finden wäre. Wieder Liktor von Thrax zu sein, daß wäre eine feine Sache, habe ich mir gesagt, bin mir aber nicht sicher, ob ich’s gemacht hätte, wenn’s möglich gewesen wäre. Ich schlief wie ein Tier unter Bäumen und aß, was ich fand, was nicht viel war.
    Am dritten Tag entdeckte ich ein rostiges Krummschwert, das offenbar von einem Feldzug des Vorjahrs stammte. Ich holte mein Ölfläschchen und meinen zerbrochenen Wetzstein hervor (die ich zusammen mit dem Heft aufbewahrt hatte, als ich das ramponierte Terminus Est fortwarf) und machte mich fidel ans Werk. Als ich die Waffe nach einer Wache gereinigt und geschärft hatte, zog ich weiter und stieß bald auf eine Straße.
    Nachdem die Schutzwirkung von Manneas Geleitbrief ein jähes Ende gefunden hatte, war ich viel vorsichtiger als auf dem Rückweg von Meister Ash. Allerdings rechnete ich damit, daß der tote Soldat, den die Klaue wiedererweckt hatte und der sich nun Miles nannte, obgleich ein Teil von ihm, wie ich wußte, Jonas war, inzwischen irgendeiner Einheit beigetreten war. In diesem Fall wäre er auf einer Straße oder in einem Lager bei einer Straße anzutreffen, falls er nicht gerade in die Schlacht zöge. Mit ihm wollte ich reden, weil er sich wie Dorcas im Reich der Toten aufgehalten hatte. Zwar hatte sie dort länger geweilt, doch hoffte ich, wenn ich ihn befragen könnte, ehe zuviel Zeit verstrichen und seine Erinnerungen daran verblaßt wären, brächte ich vielleicht etwas in Erfahrung, das mir – wenn auch nicht ermöglichte, sie wiederzugewinnen, so doch helfen würde, den schmerzlichen Verlust zu verwinden.
    Denn wie sich zeigte, liebte ich sie nun, wie ich sie nie geliebt hatte, als wir übers Land nach Thrax zogen. Damals kreisten meine Gedanken zu sehr um Thecla; ich blickte immerzu in mich hinein, um sie zu finden. Nun hielt ich sie, wenn auch nur darum, weil sie schon so lange Teil von mir war, inniger umfangen als beim innigsten Liebesakt. Vielmehr wie der männliche Samen das weibliche Ei durchdringt und (so Apeiron will) einen neuen Menschen zeugt, so hat sie, durch den Mund in mich eingehend, eine Verbindung mit dem Severian geschlossen, woraus ein neuer Mensch entstehen sollte: ich, der ich mich zwar noch Severian nenne, der ich mir aber meiner doppelten Wurzel bewußt bin.
    Ob ich das, was ich von Jonas-Miles wissen wollte, hätte erfahren können, sei dahingestellt. Ich habe ihn nie gefunden, obwohl ich die Suche bis zum heutigen Tag nicht aufgegeben habe. Am Nachmittag hatte ich einen Wald voller umgeknickter Bäume betreten, worin ich zuweilen auf mehr oder weniger stark verweste Leichen stieß. Zuerst versuchte ich, sie auszuplündern wie Jonas-Miles, aber andere waren schon vor mir am Werk gewesen, und die Fenneks hatten sich nachts mit ihren spitzen Zähnchen am Fleisch gütlich getan.
    Eine Weile später rastete ich, als meine Kräfte nachließen, an den schwelenden Trümmern eines Planwagens. Die Zugtiere, die noch nicht lange tot waren, wie es schien, lagen auf der Straße, dazwischen der kopfüber hingeschlagene Fahrer. Es wäre nichts dabei, sagte ich mir, einen Batzen Fleisch abzuschneiden und an einem stillen Ort ein Feuer zu schlagen. Doch kaum hatte ich das Krummschwert in die Lende eines der Tiere gestoßen, hörte ich Hufgeklapper und trat in der Annahme, es handle sich um eine Stafette, an den Straßenrand zurück.
    In Wirklichkeit war es ein kleiner, dickleibiger, energisch wirkender

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