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Die Zufalle des Herzens

Die Zufalle des Herzens

Titel: Die Zufalle des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fay Juliette
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einen tiefen, reinigenden Atemzug, die Art, von der in Geburtsvorbereitungskursen die Rede war, so als könnte der entsetzliche Geburtsschmerz einfach mit einem Schwall Kohlendioxid aus dem Körper geweht werden. Der Schmerz in ihrer Brust blieb jedoch fest hinter ihrem Solarplexus eingebettet.
    »Esse ich heute allein?«, war Tonys tiefe Stimme aus der Teeküche im hinteren Teil der Praxis zu vernehmen.
    »Komme gleich!«, rief sie, stand aber nicht auf. In ihren Augenwinkeln standen Tränen. Sie musste nur ein paar laufen lassen, ehe irgendjemand sie sah.
    Plötzlich stand er in der Tür. »Hey«, sagte er freundlich, fragend.
    »Es tut mir leid … Ich sollte nicht …« Sie nahm das Ende ihres Schals, der wie ein Lasso um ihren Hals lag, und tupfte die Tropfen von ihren Wangen.
    »Worum geht es denn?«, murmelte er.
    Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Hör auf zu heulen , sagte sie sich. Hör sofort auf .
    Er ging auf sie zu und griff nach ihrer Hand, seine warmen, dunklen Finger wanden sich um ihre und zogen Dana von ihrem Stuhl hoch. »Lassen Sie uns in mein Büro gehen, nur für den Fall, dass jemand reinkommt«, sagte er und führte sie zu dem prall gepolsterten Stuhl. Er zog den Holzstuhl zu ihr her und griff, während er sich hinsetzte, nach einer Schachtel mit Taschentüchern auf seinem Schreibtisch.
    Sie schnäuzte sich – ein saftiges, unschönes Geräusch – und murmelte: »Das ist mir so unangenehm.«
    »Ich verbringe meinen Tag in den Mündern der Leute«, sagte er lächelnd. »Und Sie glauben, ich würde mich vor einem Naseschnäuzen ekeln? Im Übrigen könnte eines Tages ich es sein, der sich bei Ihnen ausweint, und dann werde ich wie eine heisere Gans schreien.«
    Da entfuhr ihr ein kurzes Lachen, und schon ging es ihr besser. Sie erzählte ihm von Mrs Cataldos Anruf.
    »Gut, also erst einmal hatte ich gedacht, die Generation von Lehrern, die der Mutter für alles die Schuld geben, wäre inzwischen im Ruhestand«, sagte er. »Und dann ergibt es überhaupt keinen Sinn, dass Grady nur wegen Ihres Teilzeitjobs aus dem Gleichgewicht geraten sein soll. Vielleicht gibt es ja auch gar keinen Grund. Manchmal haben wir einfach ein paar Tage lang einen Durchhänger, und dann ist es wieder vorbei.«
    »Aber Grady ist kein launisches Kind«, sagte sie. »Da scheint noch etwas dahinterzustecken.«
    »Und wenn Sie das sagen, dann stimmt es auch, denn niemand kennt ihn besser als Sie. Sie sollten jedoch nicht gleich davon ausgehen, dass alles Ihre Schuld ist, Dana. Es ist nicht Ihre Aufgabe, Ihre Kinder davor zu bewahren, traurig oder wütend zu sein. Ihre Aufgabe besteht darin, ihnen zu helfen, mit solchen Situationen fertigzuwerden.«
    Sie nickte. Natürlich hatte er recht. Sie fingerte an dem weichen, dünnen Schal herum, dessen Enden jetzt tränenfeucht waren. »Es tut mir aber in der Seele weh, wenn Sie etwas drückt.«
    Er tätschelte ihr Knie. »Und was für eine Mutter wären Sie, wenn es das nicht täte?« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Wissen Sie, ich möchte einmal etwas in den Raum stellen. Bloß so eine Idee. Ich erinnere mich, dass nach Ingrids Tod meine Mädchen natürlich völlig am Boden zerstört waren. Wir haben jeden Tag geweint. Monatelang, Tag für Tag. Irgendwann weinten sie dann nicht mehr ganz so viel und schwangen sich allmählich wieder auf ihr eigenes Leben ein – Middle School, Highschool, das ist ja alles sehr spannend, stimmt’s? Sechs Monate später fing dann Lizzie, die Jüngere, von Neuem an zu weinen. Ich konnte beim besten Willen nicht rauskriegen, warum – und sie genauso wenig! Am Ende haben wir es zusammen herausgefunden. Das Schuljahr ging zu Ende, und sie konnte sich nicht vorstellen, wie der Sommer ohne Mom werden würde. Woher sollte sie wissen, wohin sie gehen und was sie tun sollte, ohne Mom, die ihr beim Organisieren half? Wer würde alles stehen und liegen lassen und sie zum Strand fahren, während ich bei der Arbeit war?«
    Jetzt fingen Tonys Augen an, ein wenig zu glänzen, und Dana spürte, wie eine weitere Träne ihr aus dem Augenwinkel tropfte. Die störte sie allerdings nicht so wie deren Vorgängerinnen. Für eine mitfühlende Träne brauchte man sich nicht zu schämen. »Das heißt«, sagte sie, »vielleicht nimmt es Grady gerade wieder besonders mit, dass Kenneth nicht mehr bei uns ist.«
    »Vielleicht.« Er zuckte die Schultern. »Schwer zu sagen. Sie werden es bestimmt herausfinden.«
    »Danke«, sagte sie und hätte gerne noch mehr

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