Die Zufalle des Herzens
einen imaginären BlackBerry hoch, auf dem sie mit den Daumen herumdrückte. Bei diesem grotesken Anblick wurden Morgans Züge weicher. Bethany fuhr fort: »Und wenn uns später danach ist, rufen wir sie wieder rein, okay?« Morgan nickte zustimmend.
Solange Dana im Raum war, plauderte Bethany freundlich mit Morgan, die allmählich ihren Griff um das Kissen lockerte. Was war Morgan von ihren Aktivitäten die liebste? »Das Cello«, sagte Morgan. »Nur bin ich richtig scheiÃe da drin.« Sie blinzelte, erschrocken, dass sie vor einer Fremden das Wort »scheiÃe« benutzt hatte.
»Aha«, sagte Bethany. »Wie scheiÃe bist du denn?«
Morgans Blick schnellte seitwärts zu ihrer Mutter, dann wieder zu Bethany. »Ãhm, richtig scheiÃe?«
»Warum magst du es denn dann, wenn du so scheiÃe da drin bist?«
Morgan überlegte einen Moment, während ihr Finger an der Paspel des Kissens auf und ab fuhr. »Ich glaube, mir gefällt sein Klang. Es klingt nicht so hoch und quietschend wie eine Geige. Eher wie die Stimme eines Menschen.«
»Donnerwetter«, sagte Bethany. »So habe ich das nie gesehen, aber du hast recht. Es klingt tatsächlich wie eine tiefe Stimme.«
»Ja«, sagte Morgan mit einem Hauch von Enthusiasmus. »Eine Männerstimme vielleicht. Nur, so wie ich spiele, klingt es, als ob der Typ Halsschmerzen hätte.« Bei diesem kleinen Witz gingen ihre Mundwinkel ganz leicht nach oben.
Es ist das erste Mal seit Montagnacht, dass ich sie habe lächeln sehen , dachte Dana.
Bald darauf wurde sie gebeten, sich wieder ins Wartezimmer zu begeben. Dort warf sie einen flüchtigen Blick auf die Zeitschriften Psychology Today, Redbook und ein paar andere, verspürte jedoch keine Lust, etwas über archetypische Themen in der geriatrischen Psychologie oder Dekorationstipps für ein festlicheres Thanksgiving zu lesen. So saà sie einfach da und starrte an die schmucklose, in einem gebrochenen Weià gestrichene Wand. Der metallene Donut gab sein beruhigendes Geräusch von sich.
Danas Verstand schien sich aus seiner engen Fokussierung auf die unmittelbare Situation zu lösen. Er zoomte weg, bis Morgan, Grady und Alder ebenso verschwunden waren wie das ganze Elend, das sie wie Schwämme dreckiges Wasser aufgesogen zu haben schien. Es fühlte sich an, als schwebte sie im All und blickte hinab auf Cotters Rock, die Stadt im Staat Connecticut, von deren Einwohnern manche in diesem Moment glücklich und manche wütend oder traurig waren. Etwas Perfektes gibt es nicht , konnte sie ihre Mutter sagen hören, und wenn es das gäbe, dann würde es nicht lange so bleiben .
Es überkam sie ein Gefühl, dass am Ende vielleicht doch alles in Ordnung sein würde. Im Moment war es hart und chaotisch. Doch das beruhigende Geräusch klang wie ein Echo der Luft, die in ihre Lunge hinein- und wieder hinausströmte. Und für diese wenigen Augenblicke schien es ihr, als wäre, um weiterzumachen, nichts anderes nötig, als dass ihr Brustkorb sich ausdehnte und zusammenzog.
Die Tür zu Bethanys Sprechzimmer ging auf. »Wollen Sie für die letzten paar Minuten noch mal zu uns kommen?« Während Dana ihr in den Raum folgte, wunderte sie sich, dass eine knappe Stunde so rasch verflogen war. »Ich habe Morgans Erlaubnis, Ihnen ein bisschen von dem zu erzählen, worüber wir heute geredet haben«, sagte Bethany, die sich auf ihrem Stuhl niederlieÃ. »Im Wesentlichen haben wir darüber gesprochen, was Stress ist und inwiefern er manchmal gut sein kann, uns aber auch Dinge denken und tun lässt, die nicht so gesund sind. Zum Beispiel anfallartiges Essen und Erbrechen.«
Bethany kam ja ohne Umschweife auf den Punkt. Dana warf Morgan einen flüchtigen Blick zu, doch ihre Tochter machte einen guten, ja sogar einigermaÃen entspannten Eindruck.
»Scheidung kann für Kinder ein ziemlicher Stressfaktor sein â wie für Eltern auch, stimmtâs, Mom?« Bethany bedachte Dana mit einem mitfühlenden Lächeln. »Alle haben das Gefühl, aus dem Lot zu geraten, so als hätten sie bisher gewusst, was sie zu erwarten haben, und wüssten es jetzt nicht mehr. Wissen bedeutet Macht, und wenn man glaubt, diese Macht nicht mehr zu haben, tut man manchmal Dinge, die sich machtvoll anfühlen, es aber in Wirklichkeit nicht sind. Zum Beispiel Sachen in seinen Körper
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