Die Zufalle des Herzens
in ihre Brust sickerte.
»Eine sehr vernünftige Frage.« Er nickte. »Ständiges Saugen an etwas Saurem wie zum Beispiel Zitronen oder das Kauen klebriger Bonbons verursachen den Abbau von Zahnschmelz.«
Morgan mochte Zitronen nicht, und Schokolade war ihr lieber als klebrige Bonbons. In diesem Moment jedoch bedeutete die Tatsache, dass etwas anderes â irgendetwas anderes â die Ursache sein könnte, eine Erleichterung.
»Dana«, sagte er freundlich. »SüÃigkeiten bauen den Schmelz an ganz bestimmten Stellen ab, hauptsächlich an der Zahnkrone. Und Zitrone führt in der Regel zur Erosion an den Zahnvorder- und nicht den Zahninnenseiten. Es war aber keins von beiden.«
»Das wüsste ich doch«, beharrte Dana, die verzweifelt versuchte, die Panik zu verbergen, die jetzt wie ein Sturzbach ihren Kopf erfüllte. In einem gleichmäÃigen Fluss presste sie die Worte durch ihre Lippen. »Ich wüsste ganz bestimmt, wenn sie ⦠das ⦠machte.«
»Sie sind eine sehr besorgte, gewissenhafte Mutter. Das sieht ein Blinder. Und Mädchen im Teenageralter können unglaublich verschlossen sein. Mit meinen hatte ich auch zu kämpfen, das können Sie mir glauben.«
Dr. Sakimoto war Vater? Wie an einen Rettungsring klammerte sich Dana an diese Ablenkung. »Wie alt sind sie?«
»Ich habe zwei Töchter â eine im zweiten Collegejahr und eine an der medizinischen Fakultät.«
»Das ist ja wunderbar! Welche Fachrichtung schlägt sie denn ein?«
»Noch unentschieden«, sagte er. »Dana, wir müssen darüber nachdenken, wie wir Morgan dazu bringen, mit dem Erbrechen aufzuhören. Ich kann Ihnen eine Liste mit Informationsquellen geben â¦Â«
Erbrechen . Dieses Wort würde für sie nie mehr so klingen wie vorher. »Nein«, sagte sie, unfähig, noch irgendeine weitere Information aufzunehmen. »Im Moment nicht.«
Es klopfte an der Tür, und Maries leicht erhobene Stimme sagte: »Morgan ist jetzt fertig.« Dana schnellte von dem Schlechte-Nachrichten-Stuhl hoch und stürzte geradezu zum Ausgang.
Auf der Heimfahrt klappte Morgan im Auto die Sonnenblende mit dem Schminkspiegel herunter und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Ich finde es einfach toll, wenn sie alle glatt und sauber sind«, sagte sie. »Es ist, als dürfte man mit ganz neuen Zähnen noch mal von vorne anfangen.«
Darfst du aber nicht , hätte Dana gerne gesagt. Der Körper, in den du geboren wurdest, ist der, in dem du sterben wirst . Während sie mit ihrer möglicherweise bulimischen Tochter nach Hause fuhr, wurde Dana bewusst, dass sie sich nicht länger der Vorstellung hingeben konnte, eines Tages mit einem hübscheren Körper wach zu werden. Einen zweiten Versuch gab es nicht. Ruinierte Zähne würden nie wieder neu, der Körper einer Fünfundvierzigjährigen wäre nie wieder jung. Eine gescheiterte Ehe würde nie wieder an den Punkt zurückkehren, an dem man noch nicht wusste, dass es vorbei war.
Als sie in die Sicherheit ihrer Einfahrt einbog, konnte Dana die Reibeisenstimme ihrer Mutter sagen hören: Du musst die Dinge nehmen wie sie sind . Dann warf Ma einen flüchtigen Blick zu ihrem Mann hinüber, der, ausdruckslos in Richtung Fernseher starrend, in der anderen Ecke der Couch saÃ, ehe sie wie so oft neuen Mut aus ihrer Marlboro Light sog.
- 7 -
D ie Frage war, was sie als Nächstes tun sollte.
Sollte sie jetzt mit Morgan sprechen? Und was genau sagen? »Bitte hör auf, dir den Finger in den Hals zu stecken, mein Schatz. Das ständige Erbrechen macht deine Zähne kaputt«? Oder vielleicht: » WAS HAST DU DIR DABEI BLOSS GEDACHT ?« Oder sollte sie ehrlich sein und sagen: »Es tut mir so leid, dass ich dich offensichtlich auf eine umfassende, unergründliche, nicht wiedergutzumachende Weise enttäuscht habe«?
Nein, wohl eher nicht.
Dana hatte die vergangenen zwölf Jahre damit zugebracht, ihre Kinder zu ernähren. Wenige Augenblicke nach der Geburt hatte sie sie zum ersten Mal gestillt. Seitdem hatte sie täglich Stunden darauf verwandt, Mahlzeiten zu planen, dafür einzukaufen, sie zuzubereiten und ihnen zu servieren. Sie hatte, während sie Löffel für Löffel zu ihrem Mund führte, eine ganze Palette von Fahrzeugen imitiert und immer gefragt, wie ihre Butterbrote geschnitten werden sollten, denn sie weigerten
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