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Die Zufalle des Herzens

Die Zufalle des Herzens

Titel: Die Zufalle des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fay Juliette
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sich, Vierecke zu essen, wenn sie eigentlich Dreiecke wollten. In zahllosen Gesprächen hatte sie sich mit anderen Müttern darüber ausgetauscht, was sie ihnen wann zu essen geben und was sie tun sollte, wenn sie nichts anderes als gebutterte Salzcracker zu sich nehmen wollten. Sie hatte gelernt, immer einen gewissen Vorrat an kalorienreichen, ungesunden Snacks dazuhaben, denn andere Kinder kamen lieber zum Spielen, wenn es auch irgendetwas »Leckeres« zu essen gab.
    Dass jemand all das mühsam gezauberte Essen wieder hochwürgte, war für sie unvorstellbar, und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sie musste es Kenneth sagen, das wusste sie. Aber alles, was mit Essen zu tun hatte, war immer ihre Aufgabe gewesen. Und sie konnte sich nur schwer vorstellen, ihren Exmann anzurufen, der sich eine andere, irgendwie bessere Frau an ihrer Stelle ausgesucht hatte, und ihm zu sagen: »Du hast recht gehabt: Ich bin schlechter als die andere. Als Ehefrau und Mutter bin ich zweite Wahl.«
    Dana rief Kenneth nicht an. Nachdem sie ihre Schlafzimmertür zugeschlossen hatte, rief sie Polly an, vielleicht ihre beste Freundin, die Einzige, der sie zutraute, sie nicht noch mehr runterzuziehen. »Hey, hast du einen Moment Zeit?« Dann fing sie schluckend und japsend leise an zu weinen, und Polly sagte: »Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst, ich bin da.«
    Stückweise brachte Dana es heraus. Polly war skeptisch. »Dafür ist Morgan zu vernünftig. Sie ist ein liebes, gescheites Mädchen. Wieso ist sich dieser Typ so sicher?« Dana erklärte, wie Dr. Sakimoto andere Ursachen ausgeschlossen hatte. Das akzeptierte Polly nicht. »Was meinst du, wie viele Bulimikerinnen sie in China haben, hä? Nicht besonders viele, nehme ich an. Wie viel Erfahrung kann er also haben?«
    Â»China?«
    Â»Ist er etwa kein Chinese?«
    Â»Ã„h, Sakimoto ist mit ziemlicher Sicherheit ein japanischer Name. Und sein Vorname ist Anthony, das heißt, zu einem Teil ist er auch noch was anderes.«
    Â»Hat er einen Akzent?«
    Â»Irgendwo zwischen Boston und New York. Könnte Rhode Island sein.«
    Â»Oh«, sagte Polly. »Na ja, trotzdem. Ich glaube das nicht. Als ich dieses Kind kennengelernt habe, hat es noch Windeln getragen. Sie hat x-mal bei uns gegessen. Sie ist keine Spuckerin.«
    Dana seufzte. Polly war so beruhigend. Nicht weil sie recht hatte. Je mehr Dana darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass es wahr sein konnte. Morgan rannte oft nach dem Abendessen zum Klo und lutschte später Pfefferminzbonbons. Sie hatte zugenommen und war von sich selbst angewidert.
    Und trotzdem waren Pollys Zweifel tröstlich. Polly hatte Morgan von Anfang an besonders ins Herz geschlossen. Während Dana Morgans Launen und Dickköpfigkeit beklagte, bewunderte Polly sie. »Sie ist eben eigenwillig«, sagte Polly. »Das wird ihr noch zugutekommen.« Als kleines Mädchen war Morgan zu Polly »ausgerissen«, wenn ihr das unveräußerliche Recht verweigert worden war, von einem oberen Ast des Holzapfels hinunterzuspringen oder in der dritten Klasse ein Handy zu bekommen. In vollen Zügen hatten die beiden es genossen, unter einer Decke zu stecken. Dann erklärte Polly ihr das Ganze schonend, und Morgan kam mit Keksen vollgestopft und einer für sie ungewöhnlichen Fügsamkeit nach Hause. Wenn nun Polly mit all ihrer mütterlichen Zuversicht es nicht gesehen hatte und trotz des zahnärztlichen Befunds nicht akzeptierte, fand Dana, dass sie sich ruhig etwas weniger abgrundtief verabscheuen durfte.
    Beim Abendessen hielt Dana die Augen auf ihre grünen Bohnen gesenkt, die sie jedoch, während sie sie in immer kleinere Stücke schnitt, in Wirklichkeit gar nicht sah. Ihr peripheres Sehen war ebenso wie jede einzelne ihrer Gehirnzellen auf Morgans Teller gerichtet. Von dem ein Stück Hühnchen verschwand, dann eine Gabel voll Reis. Die Gabel fiel auf den Teller, als Morgan innehielt, um Grady anzuraunzen, er solle aufhören, wie ein hyperaktiver Hamster herumzuhüpfen. »Du brauchst garantiert Tabletten«, grummelte sie. Dana wartete darauf, dass die Gabel sich wieder von dem Teller hob, doch sie blieb liegen, verlassen.
    Â»Müssen wir zu Dad gehen?«
    Dana hörte auf, ihre grünen Bohnen zu zerhacken, und hob den Blick.
    Â»Mom, hallo? Bist du noch da?«, fragte Morgan.
    Â»Was? Ja.« Dana sah sich am Tisch um. Alle

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