Die Zuflucht
hinein.
Bleich bürstete gerade einem Tier den Rücken. Es war größer als das, das Draufgängers Wagen gezogen hatte, und schöner, der Körper eleganter geformt. Es drehte den Kopf in meine Richtung und schnaubte leise, als ich hereinkam. Es hatte hübsche Augen mit langen Wimpern und ein glänzendes Fell– wahrscheinlich dank Bleichs Bürste.
» Zwei«, sagte er.
Die kühle Förmlichkeit in seiner Stimme ließ mich zusammenzucken. Wenn ich einen Titel gehabt hätte wie unsere Lehrerin, er hätte ihn benutzt, und ich verstand nicht, weshalb. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, wie es gewesen war, als wir nach Erlösung kamen, aber bestimmt nicht so. Diese abweisende Kälte war erst später zwischen uns getreten. Bleich hatte sich auch zuvor schon zwischenzeitlich zurückgezogen, aber er war nie so eisig gewesen. Nie hatte es zwischen uns ein derart bleiernes Schweigen gegeben.
Unglücklicherweise gefiel er mir immer noch genauso gut wie zuvor, und das gehörte sich nicht für eine Jägerin. Derartige Gefühle kamen von der Züchterin in mir. Meine Dämme begannen zu bröckeln, Schwäche sickerte hindurch. Unten hatte mir das mehr als einmal Ärger mit anderen Jägern eingebracht. Es war gefährlich, solche Anwandlungen zu haben, wenn man tapfer und hart sein musste. Ich versuchte, nicht daran zu denken, wie schön es war, wenn er die Arme um mich schlang, oder wie ich mit der gleichen Verzückung in seinen Küssen versunken war wie in meinem ersten heißen Bad. Anfangs war ich noch zurückhaltend gewesen, aber Bleich zeigte mir behutsam und geduldig, dass es noch andere Formen des Körperkontakts gab als Faustschläge und Tritte. Und jetzt vermisste ich seine Lippen auf den meinen.
» Was machst du da gerade?« Bescheuerte Frage .
» Ich striegle dieses Prachtstück.«
Ich reimte mir zusammen, dass er damit wohl das Bürsten meinte. Oma Oaks hatte das Wort nie erwähnt, also galt es wohl nur für Tiere. Manchmal hatte ich das Gefühl, all die Dinge, die für andere selbstverständlich waren, würden für mich ewig ein Geheimnis bleiben. Selbst Pirscher, der kein bisschen besser nach Erlösung passte als ich, erfasste die Dinge mit einer Art natürlichem Instinkt.
» Wir werden Draufgänger wegen der Sommerpatrouillen ansprechen«, sagte ich.
Bleich zog eine Augenbraue hoch. » Wer ist wir?«
» Pirscher und ich. Und du auch, wenn du willst.«
» Hast du nicht schon genug gekämpft in deinem Leben?« Er sagte das, als wäre irgendetwas mit mir verkehrt, als müsste ich eigentlich glücklich sein, nichts anderes mehr zu tun zu haben, als zur Schule zu gehen und mit Oma Oaks Kleider zu flicken.
» Es ist das, was ich gelernt habe. Worin ich am besten bin.« Ich streckte das Kinn vor, war fest entschlossen, mich nicht verunsichern zu lassen, selbst wenn Bleich enttäuscht sein sollte.
Seine nächsten Worte gaben mir Hoffnung. » Du bist immer noch meine Partnerin. Ich lass dich nicht ohne jemanden auf Patrouille gehen, dem du vertrauen kannst.«
Ich vertraute ihm, ganz egal was für Probleme wir im Moment miteinander haben mochten. Innerlich begann ich schon wieder zu schmelzen. » Dann komm mit.«
» Lass mich nur noch kurz Mr. Jensen Bescheid sagen.« Bleich verließ den Stall, und ich hörte, wie sie miteinander stritten. Aber der Streit dauerte nicht lange.
» Magst du ihn?«, fragte ich ein paar Minuten später, als wir nebeneinander hergingen.
Er schüttelte kaum merklich den Kopf. » Nicht direkt. Aber wenigstens versucht er nicht, so zu tun, als wäre er mein Dad.«
Ganz im Gegensatz zu Oma Oaks, die mich unbedingt bemuttern will.
Bleich protestierte nicht, als ich zum Haus des Schmieds abbog, um Pirscher abzuholen. Keiner der beiden schlug vor, auch Tegan zu fragen. Sie war keine Kämpferin und würde auch nie eine werden. Die Vorstellung, sie könnte sich uns auf den Sommerpatrouillen anschließen wollen, war absolut lächerlich. Trotzdem vermisste ich sie. Tegan verbrachte ihre Zeit lieber mit » normalen« Mädchen, wollte vergessen, was sie durchgemacht hatte, aber für mich war sie die einzige Freundin. Und manchmal bedeutete Freundschaft, verletzt zu werden. Wenn der andere auf Distanz geht, zum Beispiel, einfach weil es ihm guttut.
Die Stadt war dreimal wiederaufgebaut worden. Das war eines der wenigen Dinge, an die ich mich aus dem Geschichtsunterricht erinnern konnte. In der Nähe hatte ein Krieg stattgefunden, und das Fort war zerstört worden. Vor ungefähr zweihundert
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