Die Zuflucht
Jahren errichteten sie es dann neu, so wie es zuvor gewesen war. Ich verstand nicht ganz, weshalb, aber Mrs. James sagte, es hätte mit » unserem kulturellen Erbe« zu tun. Da ich aber von den Menschen abstammte, die die Welt vergessen hatte, vermutete ich, dass dieses Erbe nichts mit mir zu tun hatte.
Schweigend gingen wir durch die Stadt. Nur dann und wann winkten wir ein paar bekannten Gesichtern zu. Die Gespräche der Frauen verstummten, wenn sie mich kommen sahen, und sie musterten mich, suchten nach einem neuerlichen Vergehen, das sie weitertratschen konnten. Die weiß getünchten Häuser wirkten so sauber und gepflegt im Vergleich zu den Ruinen, die wir auf dem Weg hierher gesehen hatten. Wie der Tauschhandel in Erlösung funktionierte, verstand ich immer noch nicht. Die Bürger hatten kleine Holzscheiben, die irgendwie mit dem Wert der Waren verrechnet wurden. Wir drei besaßen jedoch keine, was bedeutete, dass wir voll und ganz auf unsere Pflegeeltern angewiesen waren. Ich hasste das.
Alleinstehende Männer, die kein eigenes Zuhause hatten, schliefen in den Baracken an der Westseite der Holzmauer. Von dort konnten sofort weitere Wachen auf die Brüstung geschickt werden, falls nötig, aber dieser Fall war noch nie eingetreten, seitdem wir hier waren. Die Anzahl der angreifenden Freaks hielt sich auch so in Grenzen, und das hätte mich eigentlich beruhigen müssen. Aber anscheinend gehörte ich zu den Menschen, die erst dann zufrieden waren, wenn alles um sie herum schiefging. Was auch immer der Grund war, ich wurde dieses mulmige Gefühl nicht los. Die Freaks hatten sich verändert, und irgendwann würde Erlösung diese Veränderungen zu spüren bekommen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Pirscher und Bleich sprachen kein Wort miteinander, aber das überraschte mich nicht. Sie hegten eine tief verwurzelte Abneigung gegeneinander, schienen aber beide fest entschlossen, während des Sommers an meiner Seite zu kämpfen. In meinem Herzen spürte ich, dass ich nur einen Partner haben konnte, aber ich verstand den Grund nicht. Warum konnten sie nicht beide meine Freunde sein? In meinen Augen hatten sie beide ihre Qualitäten, sie kämpften unterschiedlich und ergänzten einander.
Es geht nicht ums Kämpfen , sagte eine leise Stimme in mir. Aber leider verstummte sie genauso schnell wieder, wie sie gekommen war, und ich war genauso schlau wie zuvor.
Wir fanden Draufgänger in den Baracken, wo er mit anderen Männern beim Kartenspielen saß. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt, und ich sah seine sehnigen und von der Sonne gebräunten Unterarme. Sein Alter war immer noch wie ein Wunder für mich. Mit gutem Essen und viel frischer Luft würde ich vielleicht genauso alt werden, außer die Freaks erwischten mich. Wenn ich den Gedanken zu Ende dachte, verstand ich selbst nicht mehr so recht, warum ich unbedingt an den Patrouillen teilnehmen wollte. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich dazu erzogen worden war, andere zu beschützen. Wenn ich das nicht tun konnte, fühlte ich mich irgendwie halb. Ich hatte das Leben in der Enklave hinter mir gelassen, aber das Bedürfnis zu kämpfen war lebendig wie eh und je.
» Die Kinder«, sagte Draufgänger mit einem Nicken.
So nannten sie hier in Erlösung ihre Bälger. Auch für die Jungen der Tiere, denen sie die Milch abnahmen, verwendeten sie dieses Wort. Für mich war das wie eine Beleidigung– viel schlimmer als das Wort Balg. Gleichzeitig waren sie jedes Mal schockiert, wenn ich Bürger von Erlösung » Züchter« nannte, sobald sie Junge bekamen. Es war alles so anders hier.
» Ich habe gehört, es werden Freiwillige für die Patrouillen gebraucht.«
Draufgänger zog erstaunt die buschigen Augenbrauen hoch, als hätte ich ihn nicht schon vor zwei Wochen vorgewarnt. Er spielte seine Rolle gut. » Tatsächlich?«
» Die Saat wird bald ausgebracht«, fiel Pirscher mit ein. » Ihr werdet Leute brauchen, die die Feldarbeiter beschützen.«
» Und danach die Felder selbst«, fügte ich hinzu.
Draufgänger neigte den Kopf. » Das weiß ich.«
» Wir wollen dabei sein«, erklärte Bleich.
» Alle drei?« Draufgänger musterte mein langes wallendes Kleid. » Kannst du schießen?«
Ich schüttelte den Kopf. » Bei den Feldern gibt es keine Mauern wie hier. Es wäre besser, wenn du Leute mitnimmst, die mit bloßer Hand kämpfen können.«
» Und das kannst du?« Seine Stimme klang leicht amüsiert.
Wäre ich nicht vorbereitet gewesen, hätte ich ihm das übel
Weitere Kostenlose Bücher