Die Zuflucht
Freunde finden?«
Sie nickte sichtlich erleichtert. » Ich bin froh, dass du mich verstehst.«
» Das tue ich. Ich werde dann mal gehen.« Ich hatte nicht vor zurückzukommen, außer auf Tegans ausdrücklichen Wunsch. Nicht aus verletztem Stolz, sondern weil einer wahren Freundin Tegans Wohlergehen wichtiger war als ihre eigene Einsamkeit.
Tegan hielt mich nicht zurück, als ich das Haus verließ. Die Sonne bewegte sich allmählich auf den Horizont zu, und der Himmel hatte sich verändert. Er leuchtete in Farbtönen, deren Namen ich erst seit Kurzem kannte. Heute waren es Gold, Orange und ein paar purpurne Streifen. Der Himmel sah aus wie einer der gefleckten Äpfel, die wir auf unserem Marsch hierher gefunden hatten– schon ein bisschen runzlig, aber immer noch essbar. Ein kühler Wind blies mir ins Gesicht und wirbelte ein paar Strähnen aus meinen Zöpfen auf. Es war bald Zeit fürs Abendessen, und ich hatte mich noch gar nicht um meine Hausaufgaben gekümmert.
Auf dem Weg zurück durch die Stadt ignorierte ich das Getuschel der anderen. Ein paar Frauen deuteten auf mich, weil ich beim Laufen meinen Rock immer ein Stück anhob. » Kann die nicht gehen wie jeder andere auch? Ich verstehe nicht, was sie sich dabei gedacht haben, das Mädchen hier aufzunehmen.«
Ich blendete die Kommentare aus wie immer, auch wenn sie wehtaten. Jedes einzelne Wort traf mich wie ein Stein zwischen den Schulterblättern. Als ich das Haus von Oma Oaks betrat, sagte sie, ich würde mich noch erkälten, wenn ich nicht vorsichtiger war, und bat mich, den Tisch zu decken. Ich gehorchte ohne Murren. Ich fand es faszinierend, wie viele Werkzeuge die Leute hier oben zum Essen benutzten. Unten hatten wir so wenig davon, dass wir alles, was wir in die Finger bekamen, so schnell in uns hineinschaufelten, wie wir nur konnten. Im Gegensatz zu so manchem hier in Erlösung wog niemand auch nur das kleinste bisschen zu viel. Und dieses zusätzliche Gewicht war für mich wie ein Wunder: Ein Mensch konnte tatsächlich genug Fleisch ansetzen, dass er einen harten Winter überstehen würde.
Edmund setzte sich zu uns, und Oma Oaks nahm meine Hand, wie sie es jeden Abend tat. » O Schöpfer, segne und beschütze uns. Lass uns deine Gesetze ehren und deines Segens würdig sein.«
Beim ersten Mal hatte ich sie noch gefragt, mit wem sie da redete, und sie erklärte mir, es handle sich um ein Wesen, das irgendwo im Himmel lebte und über uns wachte. Ich wollte sie nicht verletzen, deshalb erwiderte ich nichts. Meiner Meinung nach war ihr Gott ein lausiger Beschützer. So wie die Welt aussah, schien er die Freaks uns Menschen vorzuziehen.
Während wir aßen, lobte ich das gebratene Fleisch, das frische Brot und das Gemüse, und irgendwann fragte ich, warum ihr Sohn die beiden nicht besuchen kam.
Edmund und Oma Oaks erstarrten. Ihre Gesichter verrieten mir, dass sie eine andere Vorstellung von einem höflichen Gespräch beim Abendessen hatten. Schmerz zeichnete sich in ihren Augen ab, und Oma Oaks senkte den Blick. Sie schien nicht in der Lage, mir zu antworten.
Ich verstand nicht, was so falsch daran war, neugierig zu sein. Ich lebte jetzt seit über einem Monat in ihrem Haus, und es schien mir nicht besonders nett, dass er während dieser ganzen Zeit nicht ein einziges Mal vorbeigekommen war, um nach seinen Zeugern zu sehen. Immerhin war ich in den Augen der meisten eine gefährliche Verrückte, und die beiden schwebten somit in ständiger Lebensgefahr, solange ich im Haus war.
Edmund räusperte sich. » Rex hat seine eigenen Angelegenheiten, um die er sich kümmern muss. Er ist beschäftigt.«
» Oh.« Seine Worte klangen eher wie eine Ausrede. Wahrscheinlich hatten sie sich gestritten. Aber ich gehörte nicht zur Familie, also bohrte ich nicht weiter nach.
Eine Weile herrschte Schweigen. Ohne es zu wollen, hatte ich sie traurig gemacht, und ich wagte es nicht, noch weitere Fragen zu stellen. Nachdem ich meinen Teller leer gegessen hatte, gab es eine süße Nachspeise. Sie schmeckte genauso unglaublich wie die Kirschen aus der Dose, die ich mit Bleich in den Ruinen gegessen hatte, und die Bilder von damals stiegen wieder in mir auf.
» Was ist das?«
» Versuch’s.« Bleich tauchte die Fingerspitze in das Gefäß und hielt sie mir hin.
Auch wenn ich mich nicht gerne füttern ließ wie ein Balg, konnte ich nicht widerstehen. Der Geschmack explodierte regelrecht auf meiner Zunge, süß und warm. Wie im Rausch griff ich in die Dose und hielt ein
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