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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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kleines rundes rotes Ding zwischen den Fingern. Ohne Zögern schlang ich es hinunter, dann noch eins und noch eins, bis mein halbes Gesicht rot verschmiert war, aber das war mir egal. Bleich beobachtete mich die ganze Zeit über amüsiert.
    » Woher wusstest du, dass das so gut schmeckt?«, fragte ich.
    Sein Lächeln verschwand. » Ich habe es mal mit meinem Dad gegessen. Früher.«
    Mittlerweile sah ich Bleich kaum noch. Wir sprachen so gut wie nie miteinander, und der Schmerz bohrte sich in mich wie ein glühender Metallhaken. Es musste einen Weg geben, die Dinge zwischen uns wieder in Ordnung zu bringen, aber noch bevor ich weiter darüber nachgrübeln konnte, riss Oma Oaks mich mit einer Bitte aus meinen Gedanken.
    Ich machte den Abwasch, während meine Pflegeeltern im Nebenzimmer leise miteinander sprachen. Abgehackte Gesprächsfetzen drangen an meine Ohren.
    » …vielleicht sollten wir es ihr sagen. Damit sie sich nicht so außen vor fühlt«, flüsterte Oma Oaks.
    » …keinen Sinn. Es geht sie nichts an.«
    Ich hörte weg, räumte das saubere Geschirr in den Schrank und klopfte an die Tür. » Darf ich eine Laterne mit nach oben nehmen?«
    » Hast du noch Hausaufgaben zu erledigen?«, fragte Edmund.
    » Ja, Sir.«
    » Aber natürlich.« Oma Oaks nahm eine Petroleumlampe vom Tisch und gab sie mir. » Sei vorsichtig. Stoß sie nicht um und verbrenn dich nicht.«
    » Unten hatten wir auch welche«, rief ich ihr ins Gedächtnis, falls sie vergessen hatte, dass der Umgang mit Feuer nichts Neues für mich war. Wenn alle Kinder in Erlösung so behütet wurden, war es ein Wunder, dass sie überhaupt allein zur Schule fanden. » Mir wird nichts passieren.«
    Edmund nickte. » Gute Nacht, Zwei.«
    Ich lief die Treppe hinauf, und die Laterne warf zuckende Schatten an die Wand. In meinem Zimmer setzte ich mich aufs Bett und las den Absatz, den Mrs. James uns aufgegeben hatte. Wir sollten einen Aufsatz darüber schreiben, aber das dauerte mir zu lange, und ich wandte mich lieber dem Rechnen zu. Mit Zahlen konnte ich besser umgehen als mit Buchstaben. Ich fand Rechnen weit sinnvoller als Lesen und Schreiben, denn mit Zahlen konnte man Bestandslisten von wichtigen Vorräten führen. Nachdem das erledigt war, beschäftigte ich mich wieder mit dem bescheuerten Aufsatz und zerbrach mir den Kopf, was die Worte, die ich las, zu bedeuten hatten. Mrs. James würden die Zeilen bestimmt nicht gefallen, die ich schrieb. Wahrscheinlich würde sie wieder vor der ganzen Klasse meine Fehler verbessern.
    Ich hatte Schlimmeres durchgemacht. Sollten die Bälger nur über mich herziehen und die Frauen hinter meinem Rücken tuscheln. Mochten mich auch schlimme Erinnerungen und Albträume plagen, mochten da draußen auch die Freaks lauern– ich würde es durchstehen, egal was kam.
    Sobald ich sicher war, dass meine Pflegeeltern schliefen, zog ich mir etwas Dunkles an und schlüpfte aus dem Fenster. Ich hatte zwar keine Glocken gehört, aber ich musste dringend mit Draufgänger sprechen. Wie jede Nacht würde ich ihn auf seinem Wachposten vorfinden. Ich hielt mich in den Schatten der Häuser verborgen, blieb zweimal hinter eine Ecke stehen, um nicht entdeckt zu werden, und kletterte schließlich die Leiter hinauf.
    Ich erkannte ihn an dem weißen Haar, das im Mondlicht schimmerte. Er hielt Altes Mädchen auf dem Schoß und spähte hinaus in die Dunkelheit.
    » Du schläfst wohl nie, was?« Aus der barschen Begrüßung hörte ich einen freundlichen Unterton heraus.
    » Manchmal«, erwiderte ich.
    » Hast immer noch nicht genug davon, mir auf die Nerven zu gehen?« Er massierte gedankenverloren sein Knie, als würde ihn der Schmerz schon so lange begleiten, dass er sich gar nicht mehr erinnern konnte, wie es ohne ihn war.
    » Ich habe ein paar Fragen.«
    » Hast du immer, wie’s scheint.«
    » Vermisst dich niemand zu Hause?« Das war nicht, was ich wissen wollte. Die Frage platzte einfach so aus mir heraus. Aber Draufgänger war immer, immer auf Wache.
    » Nicht mehr«, antwortete er leise. » Was willst du diesmal wissen, Zwei?«
    Ich straffte die Schultern. » Ich möchte bei den Sommerpatrouillen dabei sein. Ich bin bereit, vor den Augen aller anderen Wachen zu kämpfen, um mich zu beweisen, aber ich wollte dir vorher Bescheid geben. Wenn du dagegen bist, dann lasse ich es…«
    Draufgänger hob die Hand. » Nett von dir, dass du auf mich Rücksicht nimmst. Wenn du es schaffst, die anderen zu überzeugen, nehme ich dich mit. Aber du wirst

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