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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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was ich mir jemals hätte vorstellen können. Die Freaks hatten alle umgebracht und fraßen die Toten. Ich durfte gar nicht daran denken, wie es wäre, wenn hier etwas Ähnliches passierte. In Erlösung lebten mehr Menschen als in College, sie teilten sich die Arbeit auf, und es gab mehr Wachen als Unten, aber trotzdem…
    Ich hörte einen Schuss auf der anderen Seite der Mauer, dann läutete die Glocke. Sie erklang nur einmal, was bedeutete, dass wir es mit einem Freak weniger zu tun hatten. Zwei Glockenschläge bedeuteten einen Angriff. Öfter hatte ich die Glocke noch nie ertönen hören. Ich wusste nicht, ob es noch mehr Signale gab.
    » Wie viele Glockensignale sind es insgesamt?«, fragte ich Draufgänger.
    » Zwölf oder so«, antwortete er und hob sein Gewehr. » Beruht auf einer alten Militärsprache mit Punkten und Strichen.«
    Ich war genauso schlau wie vorher, aber noch bevor ich nachhaken konnte, sah ich eine Bewegung draußen in der Dunkelheit: Zwei Freaks stürmten auf die Mauer zu.
    Draufgänger zielte und streckte den ersten nieder. Es schien mir irgendwie unfair, denn die Freaks hatten keine Waffen, die auf so große Entfernung töten konnten. Andererseits konnten die meisten Bewohner von Erlösung nicht kämpfen. Wenn sie hier eindrangen, wäre das eine Katastrophe.
    Der zweite Freak kniete sich neben seinen gefallenen Freund und brüllte zu uns hinauf, als wären wir die Ungeheuer. Sein grässlicher Klagelaut hallte zwischen den Bäumen wider.
    Ich blickte kurz zu Draufgänger hinüber. Obwohl der Freak hätte weglaufen können, tat er es nicht. Seine Augen glitzerten im Mondlicht, Wahnsinn und Hunger spiegelten sich darin, aber da war noch etwas anderes.
    Verschlagenheit.
    » Manchmal klingt es, als hätten sie tatsächlich ein Hirn in ihrem verfaulten Schädel«, murmelte Draufgänger wie zu sich selbst. Dann drückte er ab, und der zweite brach neben dem ersten zusammen. Draufgänger griff nach dem Glockenseil, läutete einmal und nach einer kurzen Pause noch einmal.
    Die Leute in Erlösung waren an den nächtlichen Lärm gewöhnt und schliefen einfach weiter. Das Signal war für die anderen Wachen gedacht, damit sie wussten, wie viele Leichen vor den Toren lagen. Am Morgen ging dann ein bewaffneter Trupp nach draußen und schleifte sie weit genug weg, damit die braven Bürger von Erlösung nicht zusehen mussten, wie die anderen Freaks ihre eigenen Toten auffraßen. Ich fand das eine gute Lösung. Wenigstens mussten die Leute hier nicht über angemessene Hygiene aufgeklärt werden.
    Das war aber auch schon das Einzige, was Erlösung mit meiner Heimatenklave gemeinsam hatte. Hier oben auf der Mauer war mit meinen Messern nicht viel anzufangen, und ich hasste es, nutzlos zu sein. Auch Pirscher war nicht sonderlich begeistert, nichts unternehmen zu können. Er hatte recht, als er vor Monaten zu mir sagte:
    » Du bist wie ich.«
    » Du meinst, eine Jägerin?«, erwiderte ich.
    » Ja. Du bist stark.«
    Es stimmte, was er sagte, aber körperliche Stärke spielte hier oben keine Rolle. Auch nicht die eigenen Fähigkeiten. Sie wollten, dass wir das Leben einfach vergaßen, das wir früher geführt hatten, und uns in unsere neuen Rollen fügten. Das war hart für mich. Ich hatte meine Arbeit als Jägerin geliebt, aber hier in Erlösung waren derartige Aufgaben für Frauen nicht vorgesehen. Ich durfte nicht einmal meine eigenen Sachen tragen.
    Wir lauschten noch eine Weile den Schüssen, bis die Todesglocke schließlich verstummte und sich ganz allmählich wieder die normalen Geräusche der Nacht erhoben. Sie waren ein weiteres Zeichen, dass die Freaks sich zurückgezogen hatten. Immer wenn alles mucksmäuschenstill war und die Tiere keinen Laut von sich gaben, stand ein Angriff kurz bevor.
    Ich hörte eigenartiges Zirpen aus dem Wald. Es war eine Vogelstimme, die ich nicht kannte.
    » Was ist das?«, fragte ich Draufgänger.
    Wie immer antwortete er geduldig. » Eine Nachtschwalbe. Sie kommen den Sommer über her, dann ziehen sie wieder nach Süden.«
    Nicht zum ersten Mal beneidete ich die Vögel um ihre Freiheit. » Danke. Wir verschwinden dann mal, bevor uns noch jemand erwischt.«
    » Weise Entscheidung«, erwiderte Draufgänger, ohne den Blick von den Bäumen abzuwenden.
    Pirscher kletterte die Leiter mit derselben Eleganz und Flinkheit hinunter, die ihn zu einem so unglaublich guten Kämpfer machten. Wir nutzten jede Gelegenheit, in Form zu bleiben, denn tief in meinem Innern konnte ich mir nicht

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