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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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» Wohin?«
    Wir waren zu viert, und auf dem Weg von den Ruinen hierher wären wir beinahe draufgegangen. Tegan wollte auf jeden Fall bleiben, und Bleich vielleicht auch. Soweit ich wusste, gefiel ihm die Arbeit mit den Tieren. Seit Wochen hatte ich kaum mehr als ein paar Worte mit ihm gesprochen– was ein weiterer Grund war, weshalb ich mich so niedergeschlagen fühlte. Ein paar Mal hatte ich versucht, den Kontakt wiederherzustellen, aber in der Schule ging Bleich mir aus dem Weg. Sein Pflegevater war ein ungeduldiger, ungehobelter Klotz, der mich immer sofort verscheuchte, wenn ich bei den Ställen war. » Geh«, sagte er, » der Junge hat keine Zeit, mit dir zu schwatzen…«
    » Es gibt noch andere Siedlungen.«
    Auf dem Weg hierher waren wir durch eine verwüstete Einöde gekommen. Die meisten Dörfer und Städte waren überrannt worden, Draufgänger war der einzige Mensch, dem wir in all den Monaten begegnet waren. Auch wenn es uns hier nicht besonders gut gefiel– das Beste war, es durchzustehen, bis wir alt genug waren, um mitzureden.
    Leider war es noch eine lange Zeit bis dahin, und das ärgerte mich. Ich war kein Balg mehr. Ich hatte die Prüfungen bestanden und war jetzt erwachsen. Ich hatte viel erlebt und vor allem über lebt, hatte einen Erfahrungsschatz, aus dem ich schöpfen konnte, egal wie jung ich an Jahren sein mochte.
    » Genug geredet.«
    Er sprang auf und ging in Kampfstellung. Das war der eigentliche Grund für unsere geheimen Treffen. Pirscher verstand mich. Er half mir, mich zu erinnern, wer ich war. Oma Oaks wollte, dass ich mein altes Leben hinter mir ließ und ein » normales« Mädchen wurde. In der ersten Woche erklärte sie mir, wie sich eine Frau in Erlösung zu verhalten hatte. Sie nähte mir eine langärmlige Bluse, die meine Narben bedeckte, und flocht mir das Haar zu Zöpfen. Die Kleidung hasste ich, aber die Frisur war zumindest beim Kämpfen ganz praktisch.
    Pirscher sprang vor, und ich blockte ab. Selbst in der Dunkelheit sah ich sein Lächeln, als ich ihn mit der Faust am Bauch erwischte. Er stritt es immer ab, aber manchmal ließ er sich am Anfang ein paar Mal von mir treffen. Wir umkreisten einander und kämpften, bis mir die Puste ausging und ich ein paar neue blaue Flecken hatte. Das war wiederum das Praktische an der züchtigen langen Kleidung: Ohne sie hätte ich die Spuren meiner nächtlichen Aktivitäten nur schlecht verbergen können.
    » Alles in Ordnung, Taube?«
    War es nicht. Ich sehnte mich nach Bleich, ich hasste die Schule, und ich vermisste es, für meine Fähigkeiten anerkannt zu werden.
    Pirscher fuhr mir übers Kinn, als wolle er mich trösten. Stattdessen versuchte er, mich zu küssen.
    Ich sprang mit einem entnervten Seufzer zurück. Die körperliche Nähe, die ich mit ihm wollte, beschränkte sich auf unsere Sparringskämpfe, aber er war wild entschlossen, mich eines Tages doch noch rumzukriegen. Für mich kam das nicht infrage. Falls er tatsächlich versuchen sollte, sich mit mir fortzupflanzen, konnte er sich schon mal auf ein Messer in der Kehle gefasst machen.
    » Wir sehen uns morgen in der Schule«, murmelte ich.
    Ich sah nach, ob die Luft rein war, dann ging ich los, zurück zum Haus der Oaks. Zurück in mein Zimmer zu gelangen war schwieriger als hinaus. Ich musste den Baum hochklettern, bis an den Rand des Astes vor meinem Fenster balancieren und von dort aus auf das Sims springen. Es war nicht weit, aber wenn es schiefging, würde ich unweigerlich abstürzen, und der Zwischenfall wäre schwer zu erklären.
    Ich schaffte den Sprung, ohne das ganze Haus aufzuwecken. Ein anderes Mal, als ich weniger Glück gehabt hatte, war Oma Oaks in mein Zimmer gekommen und hatte gefragt, was dieser Lärm zu bedeuten habe. Ich behauptete, ich hätte einen Albtraum gehabt. Sie nannte mich ein » armes Lämmchen« und zog mich an ihre ausladende Brust. Ich war jedes Mal einigermaßen verstört, wenn sie so etwas tat.
    Ich lag lange wach und dachte über Dinge nach, die weit zurücklagen, an all die Menschen, die ich nie wiedersehen würde. Stein und Fingerhut, meine beiden Mitbälger… Sie hatten sich benommen, als hätten sie die Anklagen geglaubt, die gegen mich erhoben worden waren. Sie schienen mich tatsächlich für fähig zu halten, illegal Dinge zu horten, und das tat mir immer noch weh. Ich vermisste so viele: Seide und Zwirn, die rechte Hand unserer Anführerin. Außerdem Mädchen 26, die immer zu mir aufgeblickt hatte. In einem Fiebertraum hatte

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