Die Zuflucht
herunter. Es hatte eine Farbe, wie ich sie noch nie gesehen hatte, silbrig und kühl wie Wasser. Bleich half mir über die letzten Sprossen, und dann erblickte ich zum ersten Mal in meinem Leben die Oberfläche.
Es verschlug mir den Atem. Ganz langsam drehte ich mich im Kreis und zitterte vor der unendlichen Weite. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah ein dunkles Blau über mir, gesprenkelt mit kleinen weißen Pünktchen. Am liebsten hätte ich mich auf den Boden geworfen und mich zu einer Kugel zusammengerollt. Die endlose Leere über mir erdrückte mich, Panik schnürte mir die Kehle zu.
» Ganz ruhig«, flüsterte Bleich. » Schau einfach nach unten. Vertrau mir.«
Der Morgen riss mich aus einer Nacht voll schrecklicher Träume, die meisten davon wahr. Mein Schädel pochte, ich hatte Kopfschmerzen und zitterte immer noch, als ich mich aufsetzte und mir die Augen rieb. Alles hatte seinen Preis, und dies war der meine: Solange ich wach war, hatte ich es im Griff, aber nachts stahl sich die Angst auf leisen Sohlen in meinen Schlaf und verfolgte mich. Meine Vergangenheit fühlte sich dann an wie eine eiserne Kette um den Hals, aber eine Jägerin durfte sich von so etwas nicht aufhalten lassen.
Erschöpft kletterte ich aus dem Bett, wusch mich mit eiskaltem Wasser und machte mich bereit für die Schule. Ich konnte nur den Kopf schütteln über diese Verschwendung. Was gab es für mich zu lernen, das ich nicht schon wusste? Aber sie ließen nicht mit sich reden. Ich musste hingehen, bis ich sechzehn war. Dann konnte ich austreten. Wenn es nach Oma Oaks ging, würde ich ab diesem Zeitpunkt den ganzen Tag neben ihr sitzen und Kleider nähen.
Manchmal wünschte ich, ich könnte nach Unten zurückkehren.
SCHULE
Die Schule bestand aus einem einzigen großen Raum, in dem wir nach Altersgruppen unterteilt saßen. Bunte Zeichnungen und Schaubilder hingen an den Wänden, nur an der einen nicht, wo die Tafel war. Sie war glatt und hart wie Stein. Mrs. James, die Lehrerin, schrieb mit kleinen weißen Stäbchen darauf, und manchmal kritzelten die Mitschüler irgendwelchen Unsinn auf die Tafel, meistens über Pirscher oder mich.
Mrs. James ging zwischen den Bänken hin und her und kontrollierte unsere Arbeit. Ich hasste es, mit Jüngeren zusammensitzen zu müssen. Ich hielt meinen Stift nie richtig. Er war viel schwieriger zu handhaben als meine Messer, und die anderen lachten hinter meinem Rücken über mich, gut gelaunt und ahnungslos, wie sie waren. Ich konnte es ihnen nicht einmal übel nehmen.
Sie wuchsen in Sicherheit und Überfluss auf, waren eingebildet und selbstbewusst und sich ihres Platzes in der Welt sicher. In mancher Hinsicht beneidete ich sie. Sie hatten keine Albträume, und wenn, dann von Dingen, die gar nicht existierten. Die meisten von ihnen hatten nie ein echtes Ungeheuer gesehen, geschweige denn eines getötet. Sie hatten nie beobachtet, wie ein Freak eine Leiche fraß, die wie Müll vor die Mauern von Erlösung gekippt worden war. Sie wussten nicht, wie die Welt jenseits der Sicherheit dieser schützenden Mauern aussah, hatten nie spüren müssen, wie eine Klaue sie aufschlitzt. Kein Wunder, dass sie genauso wenig mit mir anfangen konnten wie ich mit ihnen.
Die Lehrerin hielt Pirscher für einen Wilden, nicht zuletzt wegen der roten Ziernarben auf seinem Gesicht. Mit Bleich kam sie etwas besser zurecht, denn er wusste seine Narben zu verbergen, war stets höflich und ungreifbar. Das hatte er schon immer so gemacht, lange bevor wir nach Oben kamen. Er ließ niemanden etwas sehen, das er nicht zeigen wollte. Sie mochte Tegan, so wie alle Erwachsenen, aber bei mir entfuhr ihr oft ein Seufzen, und sie nannte mich einen » unglückseligen Fall von Unbelehrbarkeit«, was auch immer das bedeutete.
Heute redete sie in einer Tour von irgendeiner lange zurückliegenden Katastrophe und wollte unbedingt, dass wir aus den Fehlern unserer Vorfahren lernten. » Es ist von größter Wichtigkeit, die Vergangenheit genau zu studieren«, wurde sie nicht müde zu wiederholen. » Wir wollen doch nicht dieselben Fehler noch einmal begehen, oder?«
Und während Mrs. James redete, gingen meine Gedanken auf Wanderschaft. Dinge, die sich in der Enklave zugetragen hatten und über die ich nie nachgedacht hatte, belasteten mich seit Kurzem. Ich fragte mich, ob ich nicht schon früher hätte merken müssen, dass etwas faul war, und ob ich vielleicht doch ein schlechter Mensch war. Manchmal kochten Schwermut und Reue in
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